Gehirn-gerechtes
Lesetraining 14.5.08
Hallo Frau
Birkenbihl, ich denke über das Kapitel "WESEN-tliches suchen",
und dort "Fallbeispiel: Informations-FLUT" (Trotzdem LEHREN, Seite
170f.,3.Auflage) nach.Ich bin seit fast ca 1 1/2 JAhren Deutschlehrerin und
in vielen Dingen noch Anfänger und auf der Suche meinen Unterricht gehirn-gerecht
zu gestalten. Ein Teil des Lesetrainings besteht immer darin, die berühmten
W-Fragen zu stellen (Wann? Wer? Wo?...). Aber wenn ich Sie richtig verstehe,
sind das Fragen, die keinerlei Nachrichtenwert besitzen.
====== das bezieht sich auf POSTMAN (Wir amüsieren uns zu Tode).
er bringt das beispiel von der brennenden lagerhalle in den nachrichten und
betont, daß das, was berichtet wird, nichts wirklich WESEN-tliches bringt
(ich liebe die def. dAvis zu WESEN-tlich). oder denken Sie an nebel
auf der autobahn, immer fahren leute zu schnell. wir erfahren, wie viele autos
verunglückten, wie viele leute getötet oder verletzt wurden, wie oft
davor ähnliches schon passiert ist aber wir erfahren nichts über das
WESEN von nebel bzw. über das einzig wichtige: WAS VERANLASST LEUTE, BEI
NEBEL IMMER WIEDER ZU SCHNELL ZU FAHREN?
Müsste
das dann bedeuten, solche Fragen zu vernachlässigen?
===== nun, man könnte POSTMAN lesen und lernen, neue fragen zu stellen...
(auch seine anderen bücher sind extrem lesenswert). das problem in der
schule ist ja, daß man dort in der regel nicht lernt, wie man einem text
das WESEN-tliche entnimmt. genau so, wie man bei aussätzen immer auf die
form achtet, selten aber auch die inhalte...
Auch beim
Schreiben, z.B. Berichte, hangelt man sich an den W-Fragen entlang.
===== ja, das ist schon gemäß einer schul-FORMEL, die mal wieder
nicht fragt, ob es für das realen leben bedeutung besitzt...
Eigentlich
muss doch dann der Schwerpunkt beim Lesen sein: Welche Einsicht gewinne ich?
==== besser: einsichten!! warum denn gleich wieder annehmen, es gäbe nur
eine einsicht, so wie die schule immer so tut, als gäbe es nur eine einzige
(richtige) antwort? spannend, gell?
Was lerne
ich durch diesen Text? Oder beim Schreiben: Welche Einsicht / Erkenntnis möchte
ich weitergeben?
=== bitte PLURAL, man hat doch nicht nur eine einzige botschaft...
Ich bin
irgendwie verwirrt. Ich merke, wie sehr ich darauf getrimmt bin, Fakten aufzuzählen
(aufzählen zu müssen), aufzusagen, abzuspulen und kenne es natürlich
auch, daran zu scheitern, weil es zu abstrakt und nichtssagend für mich
ist.
===== wenn Sie mut haben, schauen Sie sich den dritten karsfelder vortrag von
diesem jahr an, dann werden Ihnen lichter aufgehen! er wird anfang juni hoffentlich
erscheinen!
********** das werde ich machen!
Wie kann
gehirn-gerechtes Lesetraining aussehen bzw. was sollte man vermeiden?
===== 1. fragen Sie sich, was Sie selbst von den text erhoffen (mal liest bewerbungen,
inder hoffnung, einen kandidaten für die firma zu finden. warum lesen Sie
den heute zu lesenden text? ich habe an einem der dritten abende in karsfeld
(weiß jetzt nicht in welchem jahr) z.b. erklärt, daß wir zwei
arten von lesen unterscheiden müssen (nach ROSENBLATT, 1929), nämlich
muß-lesen und genuß-lesen. in der schule gibt es fast ausschließlich
muß-lesen: man will möglichst schnell fertig werden und wenn es einem
jemand SAGEN KANN, dann verzichten wir gerne darauf. das beginnt bei tel. nummern
und anzeigen und endet bei üblichen textbüchern noch lange nicht.
********** Bedeutet das, bei "Muss-Texten" andere Methoden zu wählen,
wie z.B. Wissensquiz? Kann man "Muss-Lesen" in der Schule vermeiden?
Geht es dann darum "Muss-Themen" in "Genuss-Themen" zu verwandeln?
===== erstens darf muß-lesen von den opfern (die lesen müßten,
sollten) vermieden werden (z.b. hörbuch statt buch) zweitens können
lehrer, dozenten etc. helfen, indem sie muß-lesen-texte durch wqs etc.
(wie Sie andeuten) so leicht lesbar machen, daß man es z.b. für eine
prüfung anschließend einigermaßen durchkämmen kann. drittens
empfehle ich seit jahren, z.b. bei lehrbüchern, die man lesen muß,
daß sich teams bilden, den stoff untereinander aufteilen und daß
jeder füs seinen teil ein WSQ bastelt, so lernen alle alles,
ohne mehr als ihren teil lesen zu müssen. ich halte am 28. juni einen vortrag
an der uni augsburg (s. TERMINE) über das problem, wie unterricht bzw.
lehrbücher das lernen systematisch und äußerst erfolgreich verhindern
können - außer die opfer wissen sich gehirn-gerecht zu helfen...
genuß-lesen
hingegen ist lesen, das uns etwas gibt. minimum wäre unterhaltung
(z.b. ein guter krimi oder eine tolle sf-story). aber das meiste, das wir FREIWILLIG
lesen, soll und irgendwie weiterbringen, also erwarten wir neue
informationen, ideen, einsichten, etc. jetzt verbinden Sie das mit den fragen,
die man Ihnen in der lehrerausbildung verkauft hat. helfen die wirklich??
********** Erkenntnisse gewinne ich dadurch nicht, ich sammle Fakten... Und
mit den Fragen wird das TExtverständnis überprüft... Die Fragen
im PISA-Test sind ähnlich gestrickt, z.B. "Von welchen Kosten spricht
Helga noch?" Wie sinnvoll ist es denn, auf so eine Art Lesekompetenz zu
überprüfen? Gerade tut sich ein neues Thema vor mir auf: Das der LEsekompetenz,
wie ich sie erreiche und überprüfe, und wie ein gehirn-gerechtes Vorgehen
auf diesem Weg aussieht...
====== diese art von fragen zielen auf inhalt, nicht auf gehalt eines textes,
wobei viele dieser muß-lese texte gar keinen echten gehalt besitzen...
ABC-Listen
beim Lesen erstellen, eigene Fragen vorab an den Text stellen sind die Möglichkeiten,
die ich zurzeit sehe, aber es gibt bestimmt mehr.
===== wenn wir mit ABC-listen VORAB beginnen, erlauben wir das assoziative denken
der leserInnen aufzuwachen und es werden eigene ideen auftauchen
mit denen man an den text herangeht, also schon mal gut!
********** Wecke ich mit eigenen Fragen vorab auch das assoziative Denken? Oder
mit einem Brainstorming "Was weiß ich bereits über das Thema"?
======= mit fragen mehr, weil fragen den geist am besten öffnen, fragen
und rätsel...
Nach dem
ersten ABC könnten die Schüler auch vorab ihre Liste mit der des Nachbarn
vergleichen, kurzer zwei-Minuten-Mini-Austausch.
wenn wir
hinterher wieder ein ABC machen und das mit unseren erst-hoffnungn oder erwartungen
oder unserer erst-inventur vergleiche, dann ergeben sich zwangsläufig fragen.
z.b. darüber, warum der autor etwas nicht angesprochen hat, womit wir eigentlich
gerechnet hatten (weil viele eine bestimmte assoziation gehabt hatten). solche
prozesse machen lesen spannend!
********** Wie gehe ich damit um, wenn den Schülern vorab nichts einfällt?
Wenn sie z.B. zum Thema keine Wissensfäden im Netz haben? Ist es dann
besser bei neuen Themen eher mit einem Quiz zu beginnen? Ich denke, es ist auch
frustrierend, wenn mir nur zwei BEgriffe auf meiner Liste einfallen. Oder ist
das dann einfach Teil des Prozesses?
==== erstens ist assoziatives denken immer eine INVENTUR und festzustellen,
daß man noch nichts weiß, ist auch eine info! insbes., wenn wir
mit sitznachbarn vergleichen und merken, daß auch die anderen nichts wissen!
dann begreifen wir: was jetzt kommt ist für alle neu! zweitens können
Sie nach dieser einsicht gerne ein quiz anbieten. aber verhindern Sie solche
einsichten bitte nicht. sie sind immens wichtig für die entwicklung der
schülerInnen
Ich habe
erst angefangen, mit dem Buch zu arbeiten. Vermutlich entdecke ich dort noch
mehrere Dinge.
sie sollten
dann noch zwei weitere zumindest teilweise lesen: DAS INNERE ARCHIV. 4. aufl.
(hier das längste modul über forschungsergebnisse zu lernen, die studien
sind weitgehend über 20 jahr alt aber die meisten lehrer kennen sie trotzdem
nicht, wiewohl sie bahnbrechend waren, z.b. die von prof. LANGER, harvard).
und den klassiker STROH IM KOPF? (derzeit 47. auflage)
Ich verschlinge
Ihre Bücher, weil ich so neuGIERIG bin und unbedingt etwas verändern
will. Ich bin nur leider sehr ungeduldig...
Irgendwie
stecke ich fest. Verstehe ich es richtig, dass es nicht allein um Faktenwissen
gehen kann wie z.B. "Ein ICE ist entgleist.
===== natürlich viel wichtiger ist doch, was zum unfall geführt hat
und ob man darauf eine lehre ziehen kann, was andere ICEs angeht. wieviele leute
getötet wurden, wieviele waggons entgleisten, wie lange es dauerte, bis
hilfe da war ... all das sagt doch nichts über das WESEN von eisenbahnunglücken,
spez. über solche mit ICE.s, oder?
Es gibt
keine Toten, 18 leicht Verletzte."?
==== sag ich ja, die wichtigste frage beim lesen ist cui bono (wem mützt
das, in diesem fall: dieser fakt) wenn die antwort lautet, niemand, dann hätte
er nie geschrieben werden sollen. leider sind viele artikel in zeitungen ähnlich
gestrickt, extrem wenige einsichten aber die seiten sind alle voll!
********** ja, schade, und die Fragen, die mich bei manchen Themen bewegen,
bleiben unbeantwortet...
Ich hoffe,
ich konnte meine Frage verständlich machen Ich bin gerade inmitten des
Prozesses des beGREIFEN....
===== und der ist doch spannend, oder??!
++++ der ist großartig! Ich hoffe, dass es mir gelingt, die alten Fesseln
hinter mir zu lassen. Ich schätze, ich werde einige Zeit zweiglasig fahren,
bis ich die neuen Methoden verinnerlicht habe... Ich hoffe, es wird nicht
allzu lange dauern. Diese Diskrepanz zwischen Vision und Realität auszuhalten
finde ich nicht so leicht. Vor allem, weil ich ja den Schülern ihre Lernlust
erhalten will und es aber aushalten muss, manchmal vermutlich genau den gleichen
Müll zu liefern...
===== erzählen Sie Ihnen doch (was auch Ihnen helfen dürfte), daß
Leonardo da VINCI der meinung war, die fähigkeit, unsicherheit, unklarheit
etc. auszuhalten, gehöre zu einer der wichtigsten für den menschen,
damit er nicht vorschnell falsche antworten akzeptiere statt zu warten, bis
die richtigen sich einstellen. er nannte die SFUMATO, wörtlich rauch oder
nebel. ich glaube, das ist hilfreich!
Vielen Dank
für Ihre Mühe!
===== gerne, denken Sie weiter und melden sich mal wieder...
********** Wie toll, dass Sie für Fragen zur Verfügung stehen!!! Während
meiner Schulzeit bin ich immer auf meinen Fragen sitzengeblieben und habe resigniert,
weil es niemanden gab, dem ich sie stellen konnte. Bei den meisten befürchtete
ich zudem, dass sie mich als blöd abstempeln, dass ich überhaupt fragen
muss...! Dabei hatte ich immer ein Meer an Fragen.
===== und ich wurde regelmäßig vor die klasse geschickt und durfte
im flur darüber nachdenken, warum ich schon wieder eine interessante frage
gestellt hatte...
:-))
vfb
Mit freundlichen
Grüßen
M. Grunwald |