Japanisches Silbenalphabet 6.1.08

Liebe Frau Birkenbihl, in den letzten Tagen konnte ich einiges Ihres „asiatischen“ Materials durchsehen und lesen. Tolle Informationen und Gedanken, die sich mit meinen eigenen Erfahrungen großteils decken.
===== Sie scheinen von der DVD (Von Null Ahnung zu etwas Japanisch) zu sprechen (da ich ja noch am buch arbeite)? es ist immer besser, die TITEL der werke zu NENNEN, damit alle mitleserInnen (und ich) wissen, worum es geht. danke.

Ich arbeite als Liedpianist viel mit SängerInnen aus dem asiatischen Raum, sowohl auf der Bühne als auch im Ausbildungsbereich, und beschäftige mich seit Jahren mit den Zusammenhängen Sprache – Aussprache – Musik – Kultur etc. Daher mein großes Interesse an Asien, speziell Japan. Zum japanischen „Silbenalphabet: Frage: Eine Sprache und die schriftliche Umsetzung basiert entweder mehr auf Einzel-Lauten oder mehr auf Silben. Wirkt sich grundsätzlich auf Denken und Fühlen des Menschen aus je nach Muttersprache? Wenn ja, wie?
=======ich gehe eher davon aus, daß es hier keine große unterschiede geben dürfte, da wir indo-europäisch geprägte zwar buchstaben schreiben, aber unbewußt doch meist von gefühlte silben ausgehen. im gegensatz zu piktographischer schreibweise – von hieroglyphen (ägyptische oder die der mayas) bis zu chinesischen Han-Ji bzw. ins japanischen übernommene Kan-Ji-schriftzeichen. hier muß man ganz anders DENKEN, weil jedes schriftzeichen eine eigene bedeutung enthält...

Um deutsche Lieder (Schubert, Brahms etc.) zu singen, kommt man um eine gute Aussprache nicht umhin, und so habe ich viel mit meinen asiatischen Studierenden trainiert vor allem mit Vorsprechen / Nachsprechen. (Das WORT-FÜR-WORT Übersetzen vom deutschen Text in die jeweilige Muttersprache empfehle / erwarte ich seit Jahren vom Sängerstudierenden, da er/sie den Lied-/Arientext möglichst zeitgenau zum Klang denken sollte – das entspricht ihrem Begiff De-kodieren. Auch der Liedpianist muss de-kodieren, wenn er fremdsprachige Lieder begleitet. Es geht dann darum, die Worte in adäquaten Klang zu verwandeln – aber das ist ein Extra-Thema, Stichwort: Kultur)
======= eine interessante feststellung, richtig, beim singen muß man ebenfalls de-kodieren, um bein richtigen ton an die richtige bedeutung zu denken.

Trotzdem klappte das mit der Aussprache öfters nicht so schnell wie ich mir vorstellte – bis ich durch eigenes „Hereinriechen“ ins Japanische vor einigen Jahren darauf kam, den japanischen Studierenden vorzuschlagen, die Silben zu ZERSCHNEIDEN oder zu üben MITTEN in einer Silbe zu STOPPEN. Diese Forderung war sehr überraschend für die Japaner, aber siehe da: Ausspracheprobleme waren schneller zu beheben.
======= gratuliere. wenn wir den lerner dort abholen, wo er ist (statt in unserer eigenen insel zu verbleiben), dann können viele probleme gelöst werden die davor unlösbar erschienen. die meisten angeblichen lernprobleme sind halt lehr-probleme. hier ist eins, das Sie hervorragend gelöst haben! chapeau!

Ich habe langsam auch verstanden, warum die Japaner Romaji nicht mögen: es widerspricht ihrem Sprachgefühl, das in Silben „denkt“.
======= roma-ji hat für japaner den nachteil, daß es bekannte silben ZERSCHNEIDET, es dürfte einfacher für uns europäier sein zu lernen, daß unsere buchstaben HA zusammen die silbe HA ergeben, denn das ist ja auch beim schreiben von buchstaben der fall. umgekehrt sieht der japaner in dem silbenzeichen (hiragana oder katakana) „ha“ zunächst kein „h“ plus ein „a“, weil er ja zunächst die silbe gelernt hatte. wenn sie es aber gelernt haben, umzudenken, dürften sie hier einen schlüssel zu vielen europäischen sprachen haben, insbes. zu ITALIENISCH, einer der großen sprachen für sängerInnen, richtig?

Der große Unterschied: ALPHABET – SILBENTAFELEin Alphabet ist linear, von A nach B usw., bei der Anordnung entsteht eine GERADE. Die Silben öffnen eine zweite Dimension, d.h. bei ihrer Anordnung entsteht eine FLÄCHE – siehe 50-Laute-Tafel. (Insofern ist mein verwendetes Wort „Silbenalphabet“ schon nicht ganz richtig ;-)
======= tja, das mit der fläche kann nur goutieren, wer mindestens eine der beiden silbenschriften einigermaßen beherrscht. in meinem buch zur DVD ordne ich die kurztabelle silben (wie am telefon besprochen) ja anders an. in schritt 1 (für deutsche leser) nach der deutschen reihenfolge A - E - I - O - U, zweitens für die 96 zeichen nach dem deutschen alphabet, d.h. auf A E I O U folgt BA BE BI BO BU (ein Ca, Ce, Ci etc. kommt im deutschen nicht vor, also geht es) weiter mit DA DE DI DO DU etc. die silben erscheinen so, daß alle AUSNAHMEN (wie FU oder SHI oder TSU in ROT gedruckt werden, so daß man aufmerksam wird, daß hier eine ausnahme „passiert“. erst im DRITTEN schritt rate ich zu der japanischen darstellung; jetzt finden die leute auch dort die silben schnell, und jetzt können sie beginnen, den flächencharakter zu goutieren! männer sind im räumlichen 3-dim.denken ja besser als frauen und die meisten sprachlerner sind lernerInnen, daher sollte man auch diesen aspekt berücksichtigen und nicht von der männlichen hirn-anatomie ausgehend, das räumliche von anfang an betonen.... meine versuchspersonen sind alle begeistert, weil sie jetzt auf anhieb jede silbe FINDEN können, wenn sie roma-ji in hiragana oder kiatakana umwandeln wollen... auf einmal macht es Ihnen spaß, roma-ji in hiragana umzuwandeln, d.h. sie haben FREUDE beim üben...

Ich denke, wenn man sich beim Erlernen der Kana-Tafel dieses Unterschiedes bewußt ist und die Silben quasi als Fläche wahrnimmt, dann ist es nicht nötig, die 50-Laute-Tafel umzusortieren.
======= das hatten wir ja schom am telefon besprochen...

Ich wehre mich innerlich dagegen, die Silbentafel auf unser lineares Alphabet herunterzubrechen… wie man einer Sprache nicht die eigene Grammatik überstülpen sollte, sollte man auch einer Silbentafel nicht die eigene „alphabetische Denkweise“ überstülpen. Umgekehrt muss sich der Japaner auf das Alphabet und Einzellaute einstellen, wenn er Deutsch oder Englisch lernt, er muss das „barbarische“ ZERSCHNEIDEN lernen.
====== ich widerspreche. wenn den lernenden das deutsche ABC vertraut ist, dann sollen sie VOM VERTRAUTEN ZUM FREMDEN gehen DÜRFEN. wer nicht will, muß ja nicht, wir zwingen na niemanden während herkömmliche lehrbücher jeden ZWINGEN, neue zeichen mit völig ungewöhnter aufstellung gleichzeitig zu verarbeiten. und, was noch schlimmer ist: wer es einst so lernen mußte, besteht in der regel später darauf, daß seine schülerInnen diesen schwereren weg ebenfalls gehen müssen - das alte problem, weshalb sprachenlehrer so stur auf dem vokabel-pauken beharren! eine harvard-studie wies nach (langzeit über 28 jahre), daß die leute später so lehren oder managen, wie sie einst gelehrt oder gemanagt worden waren, egal, ob sie das damals gut gefunden hatten...

Was halten Sie von folgender Vorstellung? Indem ich mir die Tafel quasi als BILD vorstelle und einpräge, weiß ich doch immer, wo ich welche Silbe zu finden habe.
====== es wird nicht überzeugender, wenn Sie sich wiederholen, haha

Das gleicht einem ZIMMER: ich weiß, wo welches Möbel steht, kann es später gedanklich auch „Tatami-weise“ in Streifen schneiden.
======= ich kenne MEIN ZIMMER. muß ich sowohl lernen, wie die möbelstücke auf japanisch heißen als auch wo sie stehen, sollte ich die WAHL haben, die reihenfolge selbst zu bestimmen! warum nicht erst lernen dürfen, wie TISCH dort heißt und später, wenn ich damit vertraut bin, die neue anordnung studieren, die dem japanischen denken entspricht, wenn es mir so leichter fällt?? WENN ICH DAFÜR OFFEN BIN, interessiert es mich auch, vorher empfinde ich es als zwang (vgl. schullernen!). unsere test-teilnehmer haben jedenfalls festgestellt, daß dieser prozess in zwei stufen viel LEICHTER zu absolvieren ist und spaß macht, weil man von einem kleinen teilerfolg (ich habe die silbe gefunden!!) zum nächsten eilt. hier lernen wir ähnlich wie beim computerspielen, wo wir auch laufend erfolgserlebnisse haben. es gibt einen ball-im-tor-effekt (s. trotzdem LEHREN), der autonomes lernen möglich macht. unser gehirn ist auf ball-im-tor eingestellt, nicht auf längere durststrecken, bis wir zuviel neues auf einmal irgendwie bewältigen können.

Dann finde ich auch im japanischen CD- oder Buchladen die entsprechenden Interpreten oder Schriftsteller sehr schnell und kann ein Wörterbuch benutzen.
====== wenn Sie soweit sind, sind Sie 3 kilometer weiter als jemand, der allererste gehversuche in die schriftzzeichen unternimmt und zweimal 96 silben plus zahlreiche kanji-zeichen noch VOR SICH HAT. dieses argument impliziert, was ich die ganze zeit annehme, nämlich, daß Sie NICHT an die totalen einsteigerInnen gedacht haben.

Ich glaube, es ist letztlich effektiver, AIUEO und AKSTNHMYRW zu belassen. Der anfängliche Bonus des „gewohnten“ ABCs ist nicht so groß und hindert eher, sich auf die Struktur so, wie sie ist, einzulassen. Denn die 50-Laute-Tafel durchzieht auch die Bildung der grammatikalischen Formen. (Eselsbrücken für den Anfang auf www.wikipedia.de unter 50-Laute-Tafel.)
======== wie oft noch? ich werde meine argumente jedenfalls nicht wiederholen, haha.

Deswegen möchte ich Ihnen vorschlagen, die Sortierung der Tafel in Ihrem Buch NICHT umzustellen. Aus eigener Erfahrung ist es mühsamer, sich dann später wieder umzugewöhnen.
======= sorry. mein angebot ist ein ANGEBOT, das jede/r leserIn auch AUSLASSEN kann. (die lange liste ist ein MERKBLATT am ende des buches, ähnlich wie meine wurzelzeichen-listen in „von null ahnung zu etwas chinesisch“) nur für jene, die sie verwenden WOLLEN. aber wenn ich kein solches angebot erhalte (wie in ALLEN LEHRBÜCHERN, die ich bisher kenne, das sind viele), kann ich auch NICHT ENTSCHEIDEN und das ist es, was ich am herkömmlichen unterrichten so hasse: die leute bekommen keine wahl. man redet vom mündigen bürger, patienten, lernenden und verhindert genau jene entscheidungsmöglichkeiten, die leute mündig machen würden. schade, wenn man den leuten die kontingenz (kontrolle über ihr leben) nimmt und als „kolonialmacht“ über die art verfügt, wie die „eingeborenen“ zu lernen haben. das fängt beim vokabel-pauken-müssen an und hört bei solchen fragen nicht auf! wenn ich ZWEI MÖGLICHKEITEN geboten bekomme und kann selbst wählen, dann kann ich herausfinden, was für mich besser ist. und genau diese WAHL verhindert man gewöhnlich, weil lernende oft infantilisiert werden (mutti weiß, was für die gut ist). wenn Sie meine bücher kennen würden (z.b. die vierte er-WEIT-erte aufl. von „das innere archiv“, dann schauen Sie nochmal unter dem stichwort PERKINS nach: der harvard-professor zeigt in seinem konzept von der erweiterbaren „lernbaren“ intelligenz, wie wichtig es ist, daß man eine WAHL hat und selbst entscheiden darf!

Kleiner Hinweis zur DVD „Japanisch“: der „Fujiyama“ nennt sich (auf japanisch) besser „fuji-san“ (historisches Missverständnis der Europäer bei der Kanji-Lesung – übrigens schönes Beispiel für den Unterschied von Kunyomi und Onyomi!!!)
======== das steht in meinem buch auch drin, haha. im vortrag wäre es irreführend gewesen, wie die versuche im vorfeld ergeben haben (jeder vortrag wird vorher geprobt, s. STEINE IM FLUSS, in stroh im kopf?, auch in der TEXt-schublade), weil die leute SAN mit SAN (herr, frau) nicht auf die reihe bekommen konnten und im vortrag muß ich mich auf WESEN-tliches konzentrieren, im buch habe ich den punkt jedoch selbstverständlich erwähnt.

Sehr schön finde ich, dass Sie die Aussage, Japaner mögen es nicht, wenn man ihre Sprache spricht, im Buch etwas relativieren (wie Sie in der Wandzeitung am 30.12. schrieben). In der Tat – so meine Erfahrung bei Japanaufenthalten – ist das sehr unterschiedlich: im privaten Kreise öffnet es Türen, ist man auf dem Land, so kommt man mit einigen Brocken japanisch besser zurecht als mit Englisch, auch beim Unterricht (ich unterrichte in Japan Lied und Kammermusik) erzeugt es Nähe und öffnet, bei Behörden und offiziellen Anlässen ist es eher hinderlich, man wird etwas misstrauisch beäugt, sogar dann, wenn man nur ein paar Brocken kann. Hier ist es besser, Übersetzer zu haben und zu tun als verstünde man kein Wort. Tatsächlich gibt es da viele Fettnäpfchen!
======= richtig, und sie zu leugnen, wie viele japanisch-lehrerInnen es tun, hilft auch keinem.

Sehr gerne möchte ich mich mit Ihnen austauschen auch über andere Themen Sprache – Musik – Kultur. Gerade der kulturelle Austausch mit Asien wird in Zukunft auch die Musikhochschulen beschäftigen (das sollte eigentlich schon seit 25 Jahren der Fall sein). Durch das „Hochstilisieren“ unserer europäischen Musikkultur ist von Seiten der Musik-Ausbildungsinstitute einiges versäumt worden. Da herrschen noch viel Vorurteile und MEMe, es ist viel nachzuholen!
========= da haben wir ja inzwischen schon telefoniert neulich...
:-))
vfb

Herzliche Grüße und ein gutes Neues Jahr

Matthias Gräff-Schestag