Guten Abend, Frau Birkenbihl!
Ich habe in der Wandzeitung des Öfteren Fragen gesehen, die um Mathematik
und Naturwissenschaften (NatW) gingen. Sie haben oft geantwortet, dass Sie diese
Fragen noch nicht so beantworten könnten wie z.B. welche zum Sprachenlernen
(ich habe auch Ihr Video zum Rechen-Training gesehen). Ich selbst bin mathematisch-naturwissenschaftlich-technisch
begabt/interessiert. Allerdings hatte ich in meiner SCHULZEIT einige Probleme,
die ich mithilfe von selbst entwickelten Strategien bewältigen konnte.
Da ich von Ihnen schon so viele hilfreiche Tipps zum Lernen und zur Stressbewältigung
bekommen habe (noch kein Autor hat meinen Alltag so sehr positiv beeinflusst
wie Sie), möchte ich meine Erfahrungen mit Mathematik und NatW für
andere, die die Wandzeitung lesen, zugänglich machen. Vielleicht können sie
sich ein paar Anregungen holen und meine Strategien für sich weiterentwickeln.
Falls einige meiner Strategien nicht gehirn-gerecht sein sollten, könnten
Sie ja einen negativen Kommentar darunter setzen. Noch etwas zur Situation:
Meinen Tiefpunkt in Mathematik hatte ich in der 8. Klasse in Geometrie (zweimal
hintereinander fast eine 5). In Physik war ich nicht ganz so schlecht, aber
sowohl Mathe als auch Physik haben mir im Unterricht keinen Spaß mehr
gemacht (es ging so sehr um Formalitäten). Mittlerweile habe ich leidenschaftlich
und mit viel Spaß in beiden Fächern (als Leistungskurse) mein Abitur
mit jeweils einer 1+ (15P.) gemacht. Meinen Weg dorthin würde ich gern
erläutern. Wenn ich Schulbuchtexte
(insbes. Mathe) gelesen habe, dann kam es mir sehr darauf an, hauptsächlich
IRGENDETWAS zu verstehen (noch NICHT alles!) (obwohl das langfristige Ziel war,
das Thema über das Verständnis zu erschließen, dann geht der
Rest viel einfacher). Dieser Schritt war sehr
hilfreich, BEVOR ein neues Thema im Unterricht behandelt wurde. Dann war der Unterricht
plötzlich nicht mehr schwierig und unverständlich, sondern es war
einiges bekannt. Ich konnte nach dem fragen,
was ich nicht verstanden hatte, und das Thema war interessant. Und das für
die 5 min, die ich zum Lesen gebraucht habe (wirklich nur kurz lesen und versuchen,
es nachzuvollziehen). Eventuell war es noch hilfreich,
kurz die Beispielaufgaben nachzurechnen. Wenn dann dieses Thema im Unterricht
durchgenommen worden war, fand ich es hilfreich, den Text zu vernachlässigen
und erste EINFACHE Aufgaben (wie sie in den Beispielen waren) ähnlicher
Art (nicht zu schwierige) nachzurechnen. Aber nur, wenn dies schon LEICHT FIEL. Im Unterricht fand ich es
immer schrecklich, wenn ein neues Thema regelgebunden eingeführt wurde
und man nach der ersten Aufgabe schon sofort selbst eigene Aufgaben, am besten
noch schwierigere, rechnen können musste. In solch einem Fall habe
ich dieses Thema selbst ein paar Stunden, am besten aber einen Tag ruhen lassen. Beim weiteren Üben
habe ich mich dann immer weiter auf Aufgaben, und nicht auf den Lehrbuchtext
konzentriert. Das meiste seines Inhaltes habe ich beim Rechnen intuitiv erfasst.
Nach dem Rechnen war es aber durchaus hilfreich, ihn noch einmal zu lesen (oder
öfter, wenn noch Einzelheiten unklar waren). Je weiter ich kam, desto anwendungsbezogener
und interdisziplinärer wurden die Aufgaben (d.h. LANGFRISTIG üben).
Es gibt Übungsbücher und Internetseiten mit lustigen Aufgaben bzw.
Prüfungsaufgaben (darf ich Links und Verlage angeben?), auch wenn bei weitem
nicht jede Aufgabe sinnvoll für das eigene Lern- oder Prüfungsziel
ist. Man muss sich später
sehr genau überlegen, welche Aufgabe aus einer riesigen Auswahl genau das
trainiert, was man braucht oder möchte (Aber man sollte dann auch
tatsächlich das trainieren, was später verlangt wird. Wenn man weiß,
man muss später best. Aufgaben können, dann muss man, anders als es
manche Schüler tun, auch genau diese Aufgaben trainieren). Ferner sollte
man sich von Schulbüchern nicht verunsichern lassen (viele Fachbücher,
z.B. Mathe für Physiker fand ich sogar einfacher geschrieben),
gleiches gilt für Beweise (sollte man m.E. wenn überhaupt
nur hinterher machen) und Fachsprache (letztere
lässt sich bei Mathe zu einem späteren Zeitpunkt sehr gut mit ABC-Listen
trainieren)(in den NatW bringen ABCs von Anfang an sehr viel). Gut ging es, wenn ich die
zu erschließenden Themen vorher in populärwiss. Büchern oder
Artikeln oder in Schulbüchern aus einer niedrigeren Jahrgangsstufe gelesen
hatte (auch wenn dort mehr steht, als man momentan braucht: Das Wissensnetz
wird größer und das Lernen leichter). Auf keinen Fall habe ich
die Tafelnotizen gepaukt! Ferner kommt es auch auf die innere Haltung zu dem
Thema an: Viele haben eine Abneigung gegen bestimmte Themen und haben zu große
Angst vor Fehlern. Ab einem bestimmten Zeitpunkt fand ich hässliche Ausdrücke
lustig und habe diese mit Freude imitiert. Ich habe Mathe bzw. NatW als Hilfe
für den Alltag und das Berufsleben verstanden und habe als Hobby einige
interessante Bücher zu nahe liegenden Themen gelesen (gehirn-gerechte
Einführung in die Quantenphysik war mir da sehr gelegen!). Interessant sind auch einige
natW Ausstellungen und Museen, die man evtl. mit seinen Kindern besuchen könnte
(auch wenn diese schon größer sind). Nach einer gewissen Zeit habe
ich mich gern über diese Themen unterhalten, über sie nachgedacht
und von ihnen geträumt. Mir sind sogar Lösungen für Aufgaben
im Halbschlaf beim Aufwachen eingefallen (Wie geht das?). Seltsamerweise habe ich
bei geometrischen Problemen oder bei komplexeren Gedankengängen (auch bei
sehr formalen Dingen) immer das Bedürfnis gehabt, die benötigten Symbole
nicht auf Papier zu verfassen, sondern zu stehen: Ich habe mir einen (wasserlöslichen)
Folienstift genommen und einen zimmerhohen Spiegel vollgeschrieben. Irgendwie
ging das besser. Und danach konnte ich mich super an meine Gedankengänge
erinnern! Auch in den NatW sollte
man die Aufgaben nicht vernachlässigen. Viele haben selten geübt,
nur Texte gelesen, auch wenn die Arbeiten zu 80% aus Aufgaben bestanden. Um den Ball-im-Tor-Effekt
auszunutzen, habe ich mir immer Lösungsbücher zu den Schulbüchern
besorgt. Die bekommt man im Internet entweder über Auktionshäuser
oder mittlerweile z.T. auch über reguläre Internetbuchhändler.
So konnte ich mir vieles selbstständig erarbeiten. Das finde ich viel besser
als mich bloß von einem Lehrer berieseln zu lassen. Außerdem kann ich
nach meinem eigenem Tempo vorgehen. Zusätzlich habe ich immer die Lehrer
genervt, wenn mir keiner etwas erklären konnte. Und dabei habe ich keine
Ruhe gegeben. Ich habe darum gebeten, dass etwas vorgerechnet (besser als eine
Regel) oder erklärt wurde, und wenn es in der Pause war oder der Lehrer
für mich zu Hause auf einem Zettel etwas vorbereitet hat. Aber ich habe
das Unbekannte durch viele FRAGEN erschlossen, indem ich letztlich die Antworten
bekommen habe. Dafür habe ich anderen
auch sehr viel erklärt (das war eine gute Wiederholung und es hat mir auch
immer gezeigt, womit ich mich noch mal beschäftigen sollte). Auch habe ich gelernt, Geduld
zu haben und nicht gleich zu verzweifeln, wenn ich etwas nicht wusste oder konnte. Schließlich erscheint
mir ein praktischer Bezug als wichtig. Ich habe z.B. bei einem Extremwertproblem
einmal ein Becken nachgebaut, da ich die Aufgabe nicht verstanden hatte. Danach
war alles klar. Auch habe ich mir einen
Praxisbezug bei meiner Berufswahl gegönnt: Ich werde Maschinenbau
studieren und gleichzeitig eine Berufsausbildung absolvieren. Dieser duale Studiengang
bietet handwerkliche Grundlagen am Anfang und in späteren Semestern Anwendung
in Ingenieursaufgaben. So erscheint mir das Lernen einfacher und gleich praxisnäher
(viele Betriebe beschweren sich auch darüber, dass die Hochschulen an der
Praxis vorbei ausbilden; dieses Problem kann man dadurch auch vermeiden). Zum Schluss möchte
ich Sie noch in Ihrer Aussage bekräftigen, dass Pauken SINNLOS ist. Ich
habe beim Abitur festgestellt, dass diejenigen, die sich sehr kurzfristig und
paukend auf die Prüfungen vorbereitet haben, i.d.R. deutlich mehr Abstriche
bei ihren Leistungen machen mussten, insbesondere bei Aufgaben, in denen sie
variieren mussten, da es an tief greifendem Verständnis fehlte. Mit freundlichen Grüßen |