SEPPUKU-Effekt am Elternabend 30.3.07

Liebe Frau Birkenbihl, Meine Tochter (3. Klasse) kam eine Zeit lang beinahe täglich mit einem Eintrag des Lehrers (mit roter Tinte, selbstverständlich) im Hausaufgabenheft nach Hause. Sie sei "heute zu lebhaft" gewesen, hieß es da, oder "hätte wiederholt den Unterricht gestört". Manchmal las ich, sie habe sich "heute weniger auffällig benommen". Ich war gezwungen, diese Einträge zu unterschreiben. Das tat ich, um meinem Kind Erklärungen vor dem Lehrer zu ersparen. Mein Kind "besserte" sich nicht. Im Gegenteil.Zufällig fiel mir Ihr "SEPPUKU-EFFEKT" in die Hände (Gott sei Dank)
========= wo? aus der TEXT-schublade oder besitzen Sie das dazugehörige BIRKENBIHL ON MANAGEMENT taschenbuch?

und ich dachte so bei mir: "Himmel, was muß mein Kind durchmachen?" Täglich eine BeWERTung lesen zu müssen, muß doch einem täglichen, quälenden Gesichtsverlust gleichkommen! Mir war klar: es darf keine weitere "Tötung" geben. Ich bat um einen Termin, nahm meine Tochter mit und antwortete auf die Frage, warum ich mein Kind mitbrächte, freundlich: "Ich bin ihr Anwalt. Ich habe das Gefühl, es bestehe ein Kommunikationsproblem zwischen Ihnen und meiner Tochter. Da möchte ich gerne meine Hilfe als Vermittlerin anbieten." Pause. Meine Einstellung ihm gegenüber war positiv, so auch meine Stimme, mein Auftreten, meine Wertschätzung. Darauf hatte ich mich mental vorbereitet, das geht. Er schien verdattert.
Dann fügte ich hinzu, daß ich von seiner 100% Botschaft meiner Tochtervermutlich nur 20% vermitteln könnte. Das käme einer Art "Flüsterpost"gleich und es wäre doch schade, wenn grad seine wichtigsten Informationen auf der Strecke blieben. Darum, so bat ich, solle sie Gesprächs-TEILNEHMERIN sein.
Es folgte ein offenes, anfänglich zögerliches, aber sehr positives Gespräch, dessen Inhalt jetzt gar nicht im Vordergrund stehen soll. Mein Kind vertraute mir abends an, sie habe sich noch nie in ihrem Leben in der Schule so toll gefühlt, wie heute.
======= phantastisch! bin be-GEISTERT!

Die Einträge haben aufgehört. Ich frage meine Tochter, ob sie Spaß in der Schule hatte. Dann frage ich sie, ob der Lehrer auch einen spaßigen Eindruck auf sie machte. Sie ist befreit, lustig, nach wie voraufgeweckt und extrem neugierig (sie stört aus Neugierde den Unterricht, wie sich im Gespräch herausstellte), aber sie hat seither nicht mehr mit gesenktem Kopf vor mir gestanden, um die "rote Tinte"unterschreiben zu lassen. Es fällt ihr leichter, sich an Regeln zuhalten. Sie beschreibt die Situation selbst als "entspannter".
==== toll.

Wenn ich zurückblicke auf meine eigene Schulzeit, so erinnere ich mich noch heute mit Grauen an die Elternabende, war mir damals doch bewußt, dass es in diesen Gesprächen zwischen meinen Eltern und Lehrern UM MICH ging, dass aber niemand fragte, wie es MIR ging. Die BeWERTung wurde mir tags drauf feierlich und ernst eröffnet, unter Be-LEHR-ung, versteht sich. Himmel, wie hab ich gelitten!! Ich hatte das Gefühl, Eltern und Lehrer hätten sich gegen mich verbündet. Grausam. Auf die vermittelte Kritik meiner Eltern folgte meine Rechtfertigung und ich hab mich scheußlich gefühlt, spürte ich doch, dass meine Rechtfertigungsposition eine schwache war.
======= in karlsfeld gebe ich heuer eine neue defi. ab: was ist eine kritik "konstruktiv", kam gestern bei den eltern toll an, heute sind die lehrer/innen dran... bin schon auf dem sprung.

Ich besuche keine Elternabende mehr, denn ich werde auch künftig meine Kinder zu diesen Terminen mitnehmen, aber tagsüber, damit dieLehrkräfte sich nicht vor anderen Eltern schlecht fühlen müssen, wenn sie meinen Kindern die Teilnahme am Gespräch erlauben. Die Lehrer meiner Kinder wissen, dass sie mich jederzeit gerne anrufen können, wenn ein dringender Vorfall dies notwendig machen sollte. Ich werde dann alles tun, um zwischen ihnen zu vermitteln. Nun, sie folgen meinem Vorschlag,- wer hätte das gedacht? Und wenn die Wogen geglättet sind, erinnert keine rote Schrift im Hausaufgabenheft an Unruhen, die schon längst überwunden sind.
Ich kann nur alle Eltern, die in ähnlicher Situation sind, dazu ermutigen, ihre Kinder in Gespräche mitzunehmen. Ein Trialog ist für viele Menschen, auch für Lehrer, eine besondere Herausforderung und sie prüfen ihre Worte im Beisein des Kindes genauer, das habe ich gemerkt, denn ich kenne auch die andere Variante, ohne Kind. Dem Kind aber wird SOOOO der Rücken gestärkt, - der Effekt ist unglaublich!! Das Gesicht des Kindes bleibt heile oder wird geheilt. Und: Kinder vergeben gern (auch dem Lehrer), weil sie uns Erwachsenen vertrauen!!
======== ich kann alles voll bestätigen. wenn man den guten willen auf der "gegenseite" spürt, wird eine "mitseite" daraus...

Eine mentale Vorbereitung, ein kleines KA-GA, eine kurze rhetorischeDenk-Sprech-Übung, das "Steine-im-Fluß"-Prinzip, - all das hat sich inmeinem Fall außerordentlich gut bewährt!!
======= aber hallo! diese woche hatte ich wieder jemanden, der sich vor ein wenig üben einer wichtigen aussage ein wenig drücken wollte. habe ihm ins gewissen geredet, jetzt hat er geübt und ein viel besseres gefühl vor dem meeting demnächst, wenn er dran sein wird... habe beim eltern-nachilfe-abend gegen ende ein neues MINI-RHETORIK-TRAINING empfohlen, das allein schon den preis der ganzen DVD rechtfertigt.

Ich kann Ihr Buch "Rhetorik" (unter anderem) nur empfehlen und ich tue es nicht nur hier!!
====== danke für einen sehr schönen beitrag. eltern wie Sie machen allen mut!
vfb

Viele Grüße,

Ingrid Neubert