Seitenwahl für ein Cochlea-Implantat
1.5.06

Hallo Frau Birkenbihl, ich wende mich mit einer Bitte an Sie, die vielleicht etwas ungewöhnlich, mir aber sehr wichtig ist, da ich Ihre Überlegungen/Gedankengänge und deren Darstellung sehr schätze. Allerdings muss ich ein wenig ausholen, um die Hintergründe zu beschreiben.
======= ich lese ....

Ende April werde ich mit einem Cochlea-Implantat (CI) versorgt. Das CI ist eine „elektronische Innenohrprothese“, das hochgradig Hörgeschädigten, denen Hörgeräte für das Sprachverstehen nichts mehr nutzen, das Hören - teilweise - wieder ermöglicht. Es besteht aus zwei Teilen: dem Implantat (Empfängermagnet am Hinterkopf und Elektrodenbündel im Innenohr) sowie dem externen Sprachprozessor (inkl. Mikrofon und Sendespule), der heutzutage meist am Ohr getragen wird. Der vom Mikrofonaufgenommene Schall wird vom Sprachprozessor kodiert und über die Sendespule an das Implantat weitergeleitet. Die Elektrode im Innenohr stimuliert den Hörnerv mit elektrischen Impulsen, die an das Gehirn weitergeleitet und dort als akkustische Eindrücke (Geräusch, Sprache, Klang) interpretiert werden. Aufgrund der Implantation geht in aller Regel der letzte Hörrest des operierten Ohres verloren.

Es ist ein ziemlich komplexer Prozess und die Qualität/Vielfältigkeit ist sicher nicht mit der des natürlichen Hörens vergleichbar; doch zumindest ein (verbessertes) Sprachverstehen kann bei Vielen wieder erreicht werden. Dazu muss das Hören aber (wieder) neu gelernt/trainiert und alte Nervenbahnen reaktiviert oder gar neu geschaffen werden (eigentlich ganz „Ihr Thema“). Bei mir wird nur ein Ohr implantiert und da meine Ohren in etwa gleich "gut" sind, kann ich die Seite frei wählen. Empfehlungen wie "nimm das bessere/das schlechtere/Dein Lieblings-Ohr"laufen bei mir ins Leere, da ich meine Ohren so nicht einteilen kann. Es sind einfach zwei, die zusammengehören/-arbeiten -allerdings ist mir die Aufgabenteilung noch nicht ganz klar. Deswegen wollte ich schon seit Wochen eine Frage an Sie richten, konnte sie aber nie "richtig greifen" bzw. treffend formulieren. Inzwischen ist mir klar, dass ich mir keine Antwort auf eine bestimmte Frage erhoffe, mich jedoch brennend für Ihre Gedankengänge interessiere, die Sie zu einer Entscheidung (Wahl des Ohres) führen würden. Nur um Mißverständnisse zuvermeiden: die Entscheidung welches Ohr ich implantieren lasse, will/werde ich natürlich selbst treffen;-) Doch welche Aspekte wären z.B. bei einer gehirngerechten Seitenwahl zu berücksichtigen? Schließlich muss mein Gehirn die Hauptarbeit leisten und zwei völlig verschiedene, teilweise neue Höreindrücke zu einem Gesamteindruck verarbeiten und „richtig“ interpretieren.
========= ja, und das kann anfangs nicht ganz leicht sein, also werden Sie vielleicht etwas geduld brauchen...

Soweit ich weiß, ist das linke Ohr mit der rationalen/analytischen/verbalen (linken) und das rechte mir der kreativen/ musikalischen/künstlerischen (rechten) Gehirnhälfte verbunden, da die „Umschaltung“ auf die gegenüberliegende Körperhälfte erst ab der Halswirbelsäule erfolgt - ist das richtig? Wäre eher ein „analytisches Ohr“ hilfreich, das z.B. die einzelnen Worte aufgrund der erkannten Buchstaben/Satzteile richtig kombiniert oder wäre doch eher ein „kreatives Ohr“ von Vorteil, das sich z.B. anhand der Sprachmelodie oder Silbenlänge das richtige Wort/die richtige Bedeutung „ausmalt“ und ggf. auch eher Stimmungen/“Zwischentöne“ aufnimmt?
======== also, die frage LINKES bzw. RECHTES HIRN gilt in weit höherem maß für männer als für frauen, weshalb dies eine interessante überlegung für Sie sein kann. wenn Sie vor allem SPRACHE mit dem inplantat verstehen wollen, wäre es durchaus sinnvoll, über das rechte ohr die linke hirnhälfte zu erreichen. zwar gibt es auch männer, die "anders gepolt" sind aber die meisten männer sind, wie es so heißt STARK LATERALISIERT, während frauen über die stärkere "brücke" (corpus callosum) auch im kopf mehr "miteinander" reden (d.h. sie sind nicht so stark lateralisiert). in Ihrem fall könnte also das rechte ohr, welches an die linke hälfte und die beiden sprachzentren dort (für verstehen und für worte bilden) aktiviert, das "bessere" sein...

Ich hatte mich bisher hauptsächlich von praktischen Erwägungen(zum linken Ohr) leiten lassen (links ist z.B. mein telefon-trainierteres Ohr, ich sitze zu Hause/im Auto üblicherweise rechts, ich schreibe während des Telefonierens rechts mit, ...), die natürlich auch eine große Rolle spielen.
====== hm, wenn Sie nicht annehmen müssen, daß Sie links tatsächlich besser hören ...

Nun bedanke ich mich ganz herzlich für Ihre Geduld und Ausdauer beim Lesen dieses - leider doch sehr langen - Beitrags und würde mich wirklich sehr freuen, wenn Sie mir darauf antworten. Falls der Inhalt tatsächlich auch für andere interessant sein kann, stimme ich auch einer (am liebsten anonymen) Veröffentlichung in Ihrer Wandzeitung zu.
====== vielleicht wollen Sie einen test machen, indem Sie das linke ohr mit oropax echt "dichtmachen" und eine weile mit dem RECHTEN hören, soweit noch möglich, um zu testen, ob es sich "gut anfühlt", wenn SPRACHE nur über die rechte seite ins linke hirn "wandert". wenn sie das einen nachmittag lang testen, müßten Sie ein ganz gutes "Gefühl" entwickeln... alles gute jedenfalls, auf daß Sie Ihr hören (wieder) verbessern können...
:-)
vfb

Herzlichen Dank und viele Grüße
KB