Lehren verbessern 10.2.05
Sehr geehrte
Frau Birkenbihl!Nachdem Ihr Ratschlag in Bezug auf Maschineschreiben (siehe
dort) so gut funktioniert hat, erlaube ich mir noch eine Frage in Bezug auf
Lehren zu stellen.
Ich habe ihr Buch "Trotzdem Lehren" soeben (zum ersten Mal) zu Ende
gelesen, und versuche fuer meine spezifischen Lehrsituationen (Vorlesungen an
einer veterinaermedizinischen Universitaet und Deutschunterricht fuer Kinder)
die Vorschlaege fuer mich zu adaptieren. Zusaetzlich bin ich auch schon seit
langer Zeit und immer wieder neu mit Ihrer Methode Fremdsprachen zu lernen vertraut
geworden. Meine ersten Spanischversuche habe ich mit dem "Sepuku -Effekt"
vor vielen Jahren gemacht.
====== dann waren Sie A-verlags-kundin, denn die gab es nur für unserekunden.
waren Sie all die jahre "bei uns" oder haben Sie uns nachabwesenheit
wieder neu "gefunden"?
****Nach Jahren "nur Hausfrau" wollte ich beruflich wieder aktiv werden,
deshalb wurden fuer mich Ihre Buecher wieder aktuell. Habe dann einiges Neues
gekauft und gelesen (vom neuen "Stroh im Kopf bis Analografitti - Buch
usw.)
Ich gebe 2 x in der Woche
an der deutschen Schule in Quito (Ecuador) Nachilfeunterricht in Deutsch fuer
ecuadorianische Kinder. Meistens im Einzelunterricht, aber auch fuer Gruppen
bis zu 4 Kindern. Das Alter der Kinder liegt zwischen 10 und 14 Jahren. Eine
Nachhilfestunde dauert 45 Minuten.Meine Aufgabe ist es, die Kinder zu besseren
Noten zu bringen. Danach werde ich (und die Kinder) gemessen.
====== wir beginnen jetzt in deutschland ein nachhilfe-system auf zubauen, bei
dem der nachhilfelehrer nach ca. 3 monaten ÜBERFLÜSSIG werden soll,
weil die schüler die denk-tools lernen, um sich selbst TROTZDEM zu unterweisen.das
muß Ihr ziel sein, den schülern AUTONOMIE zu geben, dann geht es
gut!
*****Die Betonung liegt bei mir auf NOTEN - d.h. die Kinder praesentierenmir
ein Vokabelliste, die zum Test kommt. Alle andern Nachhilfelehrer"pauken"
nun mit ihren Schuelern solange, bis sie den Test mit guten Noten erledigen
koennen. Sie haben ganz recht: es sieht so aus, als ob esvollkommen unwichtig
waere, ob die Kinder die Sprache lernen oder - Gottbehuete - vielleicht sogar
autonom werden koennten!
Die Kinder praesentieren
mir in jeder Stunde das Material, das sie beherrschen muessen. Also: Vokabeln
(!), Grammatik (zum Heulen!) oderTextstellen zum lesen und verstehen.
====== wenn man gehirn-gerecht sprachen lernt, können die kinder die vokabeln
hinterher auch, ohne sie je gebüffelt zu haben... aber sie lernen SPRACHE,
wieder TROTZ schule....
Meine bisherige Methode
mit diesen haarstraeubenden "Uebungen" und "Lernaufgaben"
umzugehen sind:
1. Der deutsche Text wird nur von mir vorgelesen (geht schneller und richtiger)
und von den Kindern Wort fuer Wort uebersetzt.
====== haben sie kein audio-material? wenn schüler abhängig von einem
lebenden lehrer sind, werden sie nie autonom. wenn sie eine audio-cd haben,
können sie IHR EIGENES LERNTEMPO entwickeln. erfahrungen, in denen kinder
in kleingruppen so viel sie können selbst de-kodieren, und die lehrkraft
dann die lücken füllen hilft, sind sehr positiv.
Mit Bleistift schreiben
sie die Woerter, die sie nicht wissen, ins Buch (fuer einen Schueler, der grosse
Probleme hat, habe ich auch schon einen ganzen dekodierten Text fabriziert).
====== wenn möglich auf fotokopien FARBIG schreiben, bringt viel mehr als
schlecht lesbare bleistift linien.
Manche Kinder haben vom
normalen Schulunterricht her keine Ahnung, worum es im Text ueberhaupt geht
- dann bin ich die erste, die ihnen das sagt.................
====== wenn die kinder de-kodieren lernen, werden sie es selber herausfinden,
das macht sie autonom, das ist geil, das macht weit mehr spaß, das ist
em-POWERN-ment vom feinsten. was Sie machen ist besser als normal aber immer
noch sehr PATRONIZING, alle bleiben noch sehr abhängig von der lieben lehrerin,
die jede minute totale kontrolle hat, tja....
2. Durch
das wortwoertliche uebersetzen werden die "Vokabeln" automatisch mitgelernt.
Hoffe ich wenigstens....
======= bitte lesen Sie die vielen beiträge zu spr. lernen in der wandzeitung,
Sie werden viele einsichten gewinnen. ich kann nicht alles wieder und wieder
erklären.
3. Grammatik: keine Ahnung,
wie ich das am besten angehen soll.
===== genaugenommen gar nicht. bei bi-methode lernt sie sich genauso automatisch,
wie bei der muttersprache. wenn, dann ganz am ende, wenn texte total vertraut
sind, grammatik draufsetzen, aber weglassen geht sehr gut.....
Auch wenn die Grammatik
ja sowieso im Text vorkommt, muss ich doch (?) mit den Kindern konjugieren ueben
(auch wenn ganz sinnlose Konstruktionen dabei herauskommen, z.B.: ich verstauchte
mich, statt ich verstauchte mir den Fuss- die Klassenlehrer verlangen es angeblich
so!).
======= warum reden sie nicht mit denen, ehe Sie "angeblich" sagen?
kein mensch lernt durch konjugieren in der anderen sprache zu DENKEN, oder zu
FÜHLEN. die frage ist, was will man??? kinder für EUROPA fit machen
oder für die prüfung, ohne daß sie die sprache selbst lernen??
nach pisa kann man solche fragen endlich mal laut stellen!
Unregelmaessige Verben uebe
ich wenigstens an Hand von Saetzen...........
======= unsinn. suchen Sie die, die im TEXT VORHANDEN SIND und machen Sie lückentexte
etc. (s. trotzdem LEHREN) und lassen sie die kids mal selbst was entdecken.
das bedeutet ihnen hinterher was. Sie machen eine übung nach der anderen,
bei der sie kontrolle haben und die armen kinder REAGIEREN dürfen, brav,
satz für satz. oh - Sie sollten Ihre sätze mal aus schüler-sicht
analysieren, um zu begreifen, daß wir so keine selbst denkenden jungen
menschen heranziehen werden.!!
Bevor ich jetzt in Gefahr
laufe, nicht mehr als "Insider" akzeptiert zuwerden, hoere ich lieber
auf.
====== jeder, der aktiv nachdenkt, ist uns willkommen. aber bitte denken Sie
nach. lesen Sie den beitrag LERNLIBIDO (in der wandzeitung oder im stroh, inder
43. auflage) langsam. die junge damen dort meinte auch urspünglich.alles
so machen zu müssen wie Sie. erst als sie damit aufgehört hat, hatte
der junge mann eine chance. er hat seinen quali beschafft - und Ihre schüler??????
Selbstverstaendlich weiss
ich, dass das alles andere als gehirn - gerecht ist,
====== da sagen Sie was!
aber der Notendruck erdrueckt
nicht nur die Schueler, sondern auch mich.
======= tja, gottseidank haben immer einige lehrerInnen gezeigt, daß es
auch anders geht.
Haben Sie vielleicht eine
Idee, wie ich - unter Beruecksichtigung aller gegebenen Umstaende - meine Lehre
verbessern koennte?
====== s. oben
vfb
****Gut, ich habe den Tritt in den Hintern verdient! Allerdings braucht es -zu
aller Kenntnis und Verstaendnis Ihrer Buecher - auch eine gehoerige Portion
MUT, etwas neues zu versuchen. Zu Hause bei meinen Kindern, die "homegeschoolt"
werden, ist das alles kein Problem. Meine Kinder lernen autonom und es gibt
keine "Lernprobleme", die Familie ("Lehrer") ist nur als
unterstuetzende Ideenquelle vorhanden. In der deutschen Schule werde ich ploetzlich
mit einer Erwartungshaltung konfrontiert, die mir nicht gefaellt. Vielleicht
wollte ich etwas versuchen, was der Taktik: "Wasch mir den Pelz, aber mach
mich nicht nass", entspricht..
======== tja, das war ehrlich gesagt genau der eindruck, dessen
ich mich nicht erwehren konnte, als ich Ihren beitrag las...
Also ein bisschen was "gehirn
- gerechtes" einfliessen lassen, aber nichts wesentliches veraendern. Ihre
Antwort hat mir bewusst gemacht, dass das nicht geht.
======= gut. ab jetzt können Sie neu denken. es ist ja interessant, daß
Sie Ihre eigenen kinder gehirn-gerecht unterrichten, also eigentlich wissen
Sie es ja schon, nicht wahr?
Sie haben es auf den Punkt
gebracht - ich muss mit den Deutschlehrern der einzelnen Klassen sprechen. Vielleicht
gibt es ja mehr Unterstuetzung, als angenommen?
======= das wird sich jetzt zeigen. immer mit der FRAGE arbeiten: "wollen
wir, daß die schüler etwas lernen oder wollen wir ein system erhalten?
die kann man schlecht mit "syst. erhalten" beantworten, weil doch
das lippenbekenntnis lautet: wir wollen den kindern helfen....
Um ehrlich zu sein, ich
habe schon einen Text fuer einen Schueler auf Kassette aufgenommen (zusaetzlich
zum gemeinsamen dekodieren auf einem Extrablatt), aber ich war bis jetzt zu
FEIG, damit herauszuruecken. Damit es "nur nicht auffaellt" das ich
was anderes mache.
======== aber jetzt scheinen Sie den mut zu entwickeln. gratuliere. und freue
mich für Ihre schülerInnen.
Diese Art von Versteckspiel
raubt mir dann auch jede Energie und Freude an der Arbeit mit den Kindern -
weil ich ganz genau sehe, dass es in die falsche Richtung geht.
Also - ich werde ins Wasser springen! Schon heute Nachmittag! Mal sehen, was
passiert.
====== ich freue mich riesig. bitte bei gelegenheit das 3. kapitel Ihres berichtes
einreichen, damit wir alle miterleben können, was passiert. noch ein tip:
vielleicht möchten Sie einen elternabend versuchen? denn das problem, wenn
die schule es erlaubt ist, daß die eltern dann kommen und sagen "wieso
muß ein kind keine vokabeln mehr lernen??" also, die gefahr kennen
heißt, sie zu umschiffen. möglich wäre auch ein kurzer brief
an alle eltern: achtung, wir machen gerade ein sprach-PROJEKT, in den nächsten
wochen gibt es keine vokabeln lernen, bitte zuhause nicht dageben wirken (für
die mütter, die im klassischen sinne bei den hausaufgaben und pauken "helfen"
wollen). sonst machen die alles zunichte. viel er-FOLG (folge Ihres tuns).
vfb
Liebe Gruesse
Annelie Gareis
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