Philosophie 21.1.05

Liebe Frau Birkenbihl, ich habe schon öfters von Ihnen Bücher gelesen und Sendungen von Ihnen im Fernsehen gesehen. Ich finde ihre Lerntechnik sehr hifreich für mich und freue mich immer wieder darauf von Ihnen neue Lerntechniken vorgestellt zu bekommen (Inselerweiterung).
====== dann müßten Sie ja bei meiner derzeitigen KOPF-SPIELE serie im fernsehen (DVD-1 ist schon da, für alle, die es versäumt haben) eine menge anregungen gefunden haben?

Um zum Thema zu kommen, ich bin jetzt 16 Jahre alt und lese unglaublich gerne Philosophietexte, manchmal rede ich auch mit anderen darüber aber sie haben verständlicherweise nicht immer Lust dazu. Ich beschäftige mich seit ca. 1 Jahr intensiver damit, war aber früher schon daran interessiert. Doch oft stoße ich noch an meine Grenzen bei den meist sehr schwierigen Texten.
======= EIN teil des problems könnte mangelnde lebenserfahrung sein, die leute, die jene texte schrieben, dürften etwa 3 - 4 mal Ihr lebensalter gehabt haben - mit den dazugehörenden lebenserfahrungen. um ein banales beispiel zu nennen: fahrradfahren, verliebt sein, den tod einer person verarbeiten etc.- solche dinge muß man erlebt haben, darüber kann man nicht nur lesen. also fallen einem texte über themen schwer, bei denen die mangelnde erfahrung dazu führt, daß man im KOPF zu begreifen versucht, was man (weil nie er-LEB-t) nicht nachvollziehen kann...

Gibt es Techniken solche Texte leichter zu verstehen?
======= neben der lebenserfahrung gibt es, was die angelsachsen sog. VICARIOUS EXPERIENCES nennen. man maß nicht alles persönlich erlebt haben, aber man muß es zumindest "vicariously" durchleben, z.b. in einem ROMAN, einer guten FILM, durch schilderungen anderer. das ist einer der gründe, warum GUTE talk shows so populär sind. da berichten menschen von diversen erfahrungen, die sie tatsächlich durchlebt haben. wenn man oft genug mit menschen über er-LEB-nisse spricht, kann man langsam ein wenig nach-EMPFINDEN, worum es geht - das sind VICAIOUSLY gemachte erfahrungen. aber in Ihrem alter fehlt es wohl auch noch an diesen. also wäre mein rat: lesen Sie einige (mindestens 100) gute romane, von autoren, die das spektrum menschlicher möglichkeiten ausloten (also nicht unbedingt die bestseller, wiewohl diese romane meist LONGSELLER sind, die eben nicht nach einigen jahren oder jahrzehnten verschwinden. hier lohnt es sich, frühere nobel-preisträger in literatur in betracht zu ziehen...

Ich liebe es wirklich ungemein über philosophische Probleme nachzudenken und meine Deutschlehrerin unterstützt mich dabei sehr. Es gefällt ihr das meineTexte meist eine tiefer Bedeutung haben und ich kann sie öfters fragen wenn ich bei Texten Probleme habe, da sie selber, neben Deutsch und Französisch, Philosophie studiert hat. Nur möchte ich bei philosophischen Verständnisproblemen nicht immer meine Lehrerin fragen müssen. Ich würde mich sehr freuen wenn Sie mir eine hilfreiche Technik vorstellen könnten.
====== achtung. nichts gegen Ihre lehrerin aber manche lehrkräfte neigen sehr stark dazu, antworten im sinne von RICHTIG und FALSCH zu geben. eine solche deutschlehrerin, (die auch schulrektorin war), hatte jahrzehnte lang GEDICHTs-INTERPREATIONEN im unterricht "durchgenommen". als sie in der gruppe einer anderen lehrerin war, die meine techniken vermittelte und die anwesenden bei einem gedicht ABC.s und KaWa.s machen ließ, viel jene lehrkraft aus allen wolken, als sie merkte, wie viele mögliche INTERPRETATIONSWEISEN es gab. sie sprach hinterher lange mit der dame, die den kopf-techniken nach birkenbihl-kurs geleitet hatte und konnte überhaupt nicht begreifen, wie sie jahrelang immer denken konnte, es gäbe nur die INTERPRETATION in ihrem buch. aber: das hatte sie als schülerin einst so gelernt und im studium für das lehramt wieder.... also: wenn Sie bei philosphie etwas nicht verstehen, sollten Sie jede frage mit mindestens 3 personen besprechen, nie nur mit einer. damit haben Sie eine chance, die sache etwas zu durchschauen. nur eine person, egal wie brillant, kann nur aus ihrer (= einer) eigenen "insel" heraus wahrnehmen, denken, interpretieren, schlußfolgern etc. wenn Sie platos dialoge (die weitgehend auf sokrates zurückgeführt werden, der ja nichts aufschrieb) lesen, stellen Sie fest, daß die leute DISKUTIEREND NACHDACHTEN, nicht, indem einer fragt und ein anderer alle antworten bietet. dasselbe finden Sie in den alten schriften indiens, chinas etc. philosophieren heißt entweder, daß einer viele erfahrungen vieler menschen nachvollzieht, bündelt und eine (neue) synthese darauf schafft (so ca. ab alter 40 - 50 jahre, wenn man 1000de von menschen kennengelernt hat, wenn man mit diversen menschen 20 jahre lang kontakt hatte, wenn man eine menge ge-LEBt hat. ansonsten philosophiern jüngeren menschen am besten in gruppen-gesprochen und die sind es in deutschland heutzutage weit rarer als früher, als man nicht so oft vor der glotze, dem computer oder den tv-games saß. da Sie viel lesen, sind Sie eine ausnahme, kennen Sie andere? Sie brauchen nämlich andere menschen. suchen Sie gleichgesinnte. diese werden allerdings wahrscheinlich ein wenig älter sein als Sie. schauen Sie, ob eine volkshochschule in ihrer nähe irgendwelche kurse anbietet, zu denen leute gehen könnten, die gerne DENKEN. dort gehen Sie hin, um DIESER LEUTE kennenzulernen. wenn der kurs gut ist, sehen Sie das als SAHNE auf dem kuchen - Sie suchen TEILNEHMER. es könnten diverse kurse sein, von kommunikation über schriftstellerei bis zu psychologie (wenn Sie, was ich annehme, keinen philos. finden, wobei die genannten gebiete alle einst aus der philosophie herausgelöst worden waren, sie sind alle kinder der philosophie).

Ich hoffe diese Informationen sind ausreichend zur Beantwortung meiner Frage.
====== na, mal sehen, was Sie mit der antwort anfangen werden...
:-)
vfb

Viele Grüße
Gabriele Klugsberger