Lernen und die Zeit dafür 18.12.04

Sehr geehrte Frau Birkenbihl! Kompliment für Ihr Buch "Trotzdem Lehren". Ich bin fasziniert, gerade zuerfahren, wie einfach die genialsten Lösungen sind (und gerade die zweifelt man dann an). Zum ZEITFAKTOR :
Ich bereite mich auf eine Baumeisterprüfung vor. Zum Glück habe ich vor Kursbeginn die Lust bekommen, Lernen zu lernen und so bin ich auf Sie gestoßen.
Ich habe nun die Ehre, 27 Männer zwischen 30 und 40 beim Lernen zu beobachten. Die Baumeisterprüfung ist die schwierigste Meisterprüfung in der EU, das Fachgebiet umspannt Architektur, Vertragsrecht, Statik und geht bis zur Städteplanung, Baugeräte und Kalkulation, etc.. Diese Stoffmenge läßt den Prüfern sehr viel Spielraum für die Selektion der Prüflinge. Man kann theoretisch jeden durchfallen lassen.
Wir bekommen wöchntlich ca. 150 Seiten Stoff (Normen, Allgemeines, Berechnungen,...), der Kurs dauert ein Jahr und hat 20 Wochenstunden mit Frontaluntericht. Die meisten meiner Kollegen werden sich erst einen Monat vor der Prüfung mit dem Stoff auseinandersetzen. Eine Vortragende Baumeisterin hat diese Frist als ausreichend bestätigt.
Ich empfinde diese Empfehlung typisch für unser alteingebrachtes Schulsystemund absolut falsch.

====== stimme Ihnen 100% zu. wenn die leute lediglich beim hören ABC.s anlegen und nach dem unterricht je ein bis 2 kaWa.s anlegen würden, dann hätten sie aktiv etwas getan, so daß Sie später viel leichter in die Prüfungsvorbereitungen rutschen könnten.
Zeitfaktor und geistiges/körperliches Wachstum:Ich sehe körperliches Training und geistiges Training als gleich an. Beim Muskeltraining setzt ich Wachstumsreize, die sich aber erst nach demTraining entwickeln. Der Muskel wächst großteils in der Nacht. Beim Lernengeschieht dasselbe.
====== im jetzigen PM ist ein artikel über die verbindung zwischen BEWEGUNG und hirnaktivität. noch nicht gelesen (quergelesen, weil ich gerade schreibe) aber es macht sinn und ist auf alle fälle spannend...

Das Gehirn verarbeitet die meisten Daten in der Nacht. Was macht jedoch ein Prüfling, der sich eine zu knappe Lernzeit zugefügt hat? Er lernt in der Nacht, er vergewaltigt sich, er bekommt Angst, in diesem Zustand verliert er viele seiner Fähigkeiten, optimal zu lernen.
====== richtig, das habe ich in vorträgen regelmäßig gerügt. vor prüfungen muß man nach dem lernen LÄNGER schlafen, damit die info überhaupt ins langzeit-gedächtnis kommen kann. SPITZER berichtet in seinem "Geist im Netz" darüber. stichwort (hippocampus zu cortex)

Fazit: Alle hassen das Pauken, aber alle meiner Kollegen kennen keinen anderen Weg. Als ich einigen vom Parallellernen erzählte, hielten sie dasfür verrückt. Doch als halber Hausmann mit 4 Kindern ist das eine gute Möglichkeit, bei der Hausarbeit oder beim Autofahren ganz nebenbei zu lernen, und es funktioniert hervorragend.
====== natürlich. danke für bericht, zuviele insider bezweifeln es auch und tun es deshalb nicht. schade.

Ich habe bereits enormes Wissen (10 Monate vor der Prüfung), teilweise weiß ich mehr als die Vortragenden.
======= good for you!

Es ist ja immer Zeit vorhanden. Das alte Lernbild: Schreibtisch, Ruhe, Isolation und dann Pauken unter Zeitdruck ... das ist ein Klischee, das ist nicht natürlich.
===== ich gehe z.b. seit es den walkmann gibt (also seit ca. einem vierteljahrhundert schätze ich) nie mehr einkaufen, ohne walkmann mit texten. beim KAUFEN höre ich passiv, in der WARTESCHALNGE an der kasse höre ich aktiv. dieselbe kassette ist nach drei bis vier durchgängen gut drin, 20 min. mit ABC und KaWa festigen und konsolidieren das material.

Zeit bringt Lernfreiheit, ich kann weiter Auschau halten, die Fakten prüfen, Seitenwege ausloten. z.B.: Ich wußte vor einem halben Jahr nicht einmal, was Etymologie ist. Jetzt nehme ich mir (wie Sie auch) die Zeit und studiere die Wörter (ich habe ja auch die Zeit dazu), die ich benötige, manchmal lese ich Stunden in diesem Wörterbuch.
===== schauen Sie mal LEISTUNG nach, sehr spannend!

So vermische ich Trockenes mit Spannendem, Technisches mit Philosophischem und plötzlich wird das Lernen zur Leidenschaft. Aber: der Zeitstress muß weg!
====== genau!

Ich finde diese Arbeitseinstellungen, wie "hart sein, Nachtschichten einlegen, etwas Durchziehen, Durchdrücken, Hineinpressen, Vollgas geben, im rotem Bereich sein, Volldampf geben usw." als Produkt unserer naturfremden Ausbildung. Ich mache da nicht mehr mit, und gerade deshalb schätzen mich meine Kunden, denn ich arbeite relativ fehlerfrei und halte meine Termine immer ein (da ich ein optimales Zeitmanagement anstrebe).
===== Sie sehen, daß BEWUSSTE geistige tätigkeiten sich ausdehen auf andere bereiche, wie kunden- und zeitmanagement. wer zu DENKEN beginnt, egal wo, wird diese wachheit langsam transferieren. das ist ja das ziel meiner Kopf-Spiele (TV-Serie)! übrigens haben wir seit gestern die DVD.s sie gehen derzeit scharenweise an die kunden raus!

Noch etwas - wenn ich auf Druck lerne, dann komme ich nicht in den senkrechteren Teil der Lernkurve, ich erlebe ja gar nicht das unglaubliche Potenzial des Gehirns.
====== richtig.

Meine Frage : Wer hat uns diese Selbstunterdrucksetzung einprogramiert ? Wer hat uns eingetrichtert, das das Lernen eben so ist, wie es über 90% der Europäer empfinden, eben anstrengend und stressig. Wenn die USA preußische Schulsysteme (lt. GATTO) übernommen hat, was haben dann wir in Mitteleuropa?
====== für alle insider, die nicht wissen, was Sie meinen: s. TEXT-Schublade, GATTO-beitrag dort.

Preußen ist nicht sehr weit weg. Meine Schlußfolgerung: Je eher ich mich mit dem Stoff auseinandersetze, umso freier kann ich meine Lernformen wählen.
====== so isses

Stress tötet die Lust. Zeitpuffer beruhigen (solange man sie nicht verpuffen läßt). Dialogfähigkeit mit den Vortragenden macht den Unterricht faszinierend.
===== selbst wenn ein vortragender nicht dialogbereit ist, werden die ABC.s und die KaWa.s wesentlich voller, breiter und tiefer, wenn wir mehr wissend zuhören. minimal-nutzen auch bei verknöcherten frontal-unterrichtenden, die mein neues buch trotzdem LEHREN nie lesen werden.

Ich schwöre auf Birkenbihltechniken und die Zeit dazu.
====== danke, Ihr kommentar freut mich sehr.
:-)
vfb

Frohe Weihnachten wünscht
Heinreich Peter