Strategie für Mathe-Lernen
10.12.04
(Siehe auch
Beitrag vom 26.11.04)
Liebe Frau Birkenbihl, lieber
Guido, ich glaube schon, dass ich von Mathe genug verstehe, um ein wenig mitreden
zu können. Ich habe in Mathe Abitur gemacht und vom Physik bzw. Mathestudium
hat mich im wesentlichen abgehalten, dass ich wusste, ich bin nicht fleissig
genug, umständig zu üben. Womit ich beim Kern der Aussage bin:
Technisch gesehen gebe ich dir, Guido (ist duzen okay?) recht, wenn du sagst,
du kannst erst von einem Thema zum nächsten übergehen, wenn du die
notwendigen "technischen Kenntnisse" soweit verinnerlicht, also eingeübt
hast, dass du weiter machen kannst.
Es macht keinen Sinn sich mit Matrizen beschäftigen zu wollen, wenn man
kein Gleichungssystem richtig aufstellen und lösen kann.
Insofern korrespondiert das auch mit Frau Birkenbihl´s Aussage hinsichtlich
des Aufbaus von Nervenbahnen, der länger braucht, als bestimmte mathematische
Themen in der Schule behandelt werden.
Als ich das gelesen habe, fiel´s mir wie Schuppen von den Augen. Nicht
zu fassen, dass solche Erkenntnisse vorhanden sind, aber nicht umgesetzt werden.
Demnach ist Mathe also "nur" deswegen so oft ein Frustfach, weil dieTätigkeit
des mathematischen Übens nicht genug praktiziert wird.
Ich finde das erschreckend, gerade weil es mir so unmittelbar einleuchtet.
======= ja, das finde ich auch. aber wissenschaftliche erkenntnisse brauchen
in der regel 2 generationen (plus minus 2), um in die praxis umgesetzt zu werden.
ich zitiere hier immer das beispiel HOSPITALISMUS: seit 1931 wissen wir, aufgrund
der studien von René Spitz, daß babies dringend hautkontakt benötigen.
bei abwesenheit verkümmert das rückenmark und sie verhungern de facto.
bei zu wenig verkümmern sie seelisch (hospitalismus, weil es in hospitälern
und kinderheimen oft passierte). und noch heute wird das neugeborene der mutter
nur selten AUF DEN KÖRPER GELEGT, es wird ihr erst mal weggenommen und
in manchen krankenhäusern gibt es noch säuglingsstationen und die
mutter sieht das baby nur zum stillen. wir haben fast 2005, das sind dann 74
jahre...
Wo ich widerspreche ist
allerdings das vollständige Begreifen eines Themenabschnitts (zB Vektorrechnung),
bevor man überhaupt zu einem anderen übergehen kann (zB Matrizenalgebra).
Die Beherrschung bestimmter Kenntnisse ist notwendig, aber ein vollständiges
Begreifen vorauszusetzen, bevor man zu einem anderen Gebiet übergehen kann,
steht meines Erachtens im Widerspruch zu einem modularen Aufbau von Lernstoff.
Als Nachhilfelehrer habe ich die Erfahrung gemacht, dass es keineswegs notwendig
ist, alles vollständig und perfekt zusammenhängend zu vermitteln oder
vom Schüler zu erwarten, dass er es versteht oder gar reproduzieren kann.
===== dem stimme ich auch zu.
Der Trainingsaspekt ist
viel wichtiger. Und genau die, idR minimalen, Lücken zu füllen, die
innerhalb der "technischen Kenntnisse" vorhanden sind, und in Verbindung
mit dem Mangel an Übung letztlich zum Scheitern beim Berechnen von Aufgaben
führen Wie Frau Birkenbihl bereits schrieb ist Mathe nichtTheorie, sondern
Tätigkeit.
Das heißt, es nutzt überhaupt nichts, wenn ich zum zehnten Mal erkläre,
wie ein Gleichungssystem aufgestellt wird, oder wie die Polynomdivision funktioniert.
Der, der es lernen will/soll, muss es einüben. Verständnis durch Übung.
Das funktionierte in der Nachhilfe bei mir so, dass ich eine Aufgabe stelle,
und denjenigen lösen lasse, während ich daneben sitze. Er erklärt
während er löst, ich schaue zu.
Wenn er irgendwo einen falschen Schritt machen will, frage ich wieso. Anhand
der Erklärung, die ich wiederrum hinterfrage, kommt derjenige dann meist
selbst drauf, wo sein Fehler ist.
====== ausgezeichnet!
Denn gerade bei Mathe sind
es meist winzige Kleinigkeiten, die letztlich zu falschen Ergebnissen führen
(zB Vorzeichen) und damit zu Frust. Übt man aber gemeinsam (zB in Form
von Nachhilfe) ein, wie es richtig geht, klappt es (menschliches Verständnis
vorrausgesetzt).
Denn es bleibt natürlich, gerade wenn es einmal klappt, nicht bei einer
Aufgabe. Insofern bin ich der Meinung das üben innerhalb eines Rahmens,
den man verstanden hat und der Sinn macht, vom vollständigen Verstehen
abzugrenzen ist. Denn das ergibt sich dann durch die Übung sozusagen von
selbst. Und korrespondiert insofern auch mit dem, was in Frau Birkenbihl´s
Innerem Archiv steht. Wenn man eine gewisse Anzahl Fäden in seinem Wissensnetz
hat, wird es sukzessive leichter neue Infos einzubinden. Aber genau das tut
man ja, gerade bei Mathe, durch die Übung. Denn keine zwei Aufgaben sind
gleich. Irgendwas neues, und seien es nur kleine Variationen, lernt man immer
dazu.
====== wobei das thema der VARIATION in "trotzdem LEHREN" wieder aufgegriffen
wird, es gehört, durch den neuro-mechanismus des vergleichens (mit dem
original, mit dem nachbarn, mit ähnlichen übungen von gestern etc.
etc.) zu den besten lernwegen "wo gibt".
Bei jeder Aufgabe. Und wenn
sie einem zuerst noch so einfach erscheint. Und diejenigen Fragen, die zu weitergehenden
Themenkomplexen führen, stellen sich dann meist von alleine.
Wenn man Gleichungssysteme nämlich gut kann, wird man von selbst irgendwann
die Frage stellen, was es denn noch so gibt, und zB auf Matrizenalgebra stossen.
Denn es macht dann Spaß zu lernen, weil es klappt und die Übung funktioniert.
Und das korrespondiert wiederrum mit Frau Birkenbihl´s Doppelcheckliste
und dem Neuro-Mechanismus Entdeckerfreude. Learning by doing im Wortsinn also.
Problematisch ist allerdings, dass man gerade bei Mathe, aber auch bei anderen
Fächern meist nur lernt, wenn man muss und aufhört, wenn man nicht
mehr muss.
======= ich habe die erfahrung gemacht, daß schülerInnen, die einmal
die freuden eigenen ent-DECK-ens kennengelernt haben, langsam ganz heiß
darauf sind, solche spannenden such- und erfolgserlebnisse öfter zu haben,
ähnlich wie menschen, die lernen, rätsel zu raten, immer mehr rätsel
raten wollen. also kommt die lust zum üben mit dem üben (wie auch
bei musikinstrumenten). wenn sich diese lust aufs üben mit einer gewissen
kompetenz sich nämlich nicht einstellen würde, würde niemand
über viele jahre hinweg am ball (oder am keyboard, an der geige, an der
querflöte etc.) bleiben.
Und das genau die Bedingungen,
die das lernen müssen erzeugen (Schule, Ausbildung, Uni, etc) aufgrund
von Prüfungsterminen und "schlechter Lehre"eben genau so nicht
funktionieren, das man die Neuro-Mechanismen so bedienen kann, wie es gehirn-gerecht
wäre, weil zB Zeit oder Kraft fehlt (zur Schule, ins Seminar, etc zu gehen
und dann auch noch gehirn-gerecht lernen ist eben manchmal zu viel).
Vielleicht helfen die neuen Zwillingsbücher von Frau Birkenbihl hier, dass
wir Lernenden uns selbst so helfen können, wie es für uns passt. Ich
freue mich schon auf Trotzdem lernen.
====== bestimmt.
Hoffe ich konnte ein bißchen
helfen.
===== ich danke Ihnen für die differenzierte auseinandersetzung sowohl
mit dem anderen beitrag, als auch mit meinen antworten plus aussagen in meinen
büchern. kompliment. ich bin sicher, daß Ihr beitrag für viele
hilfreich ist. Ihr einverständnis vorausgesetzt, werde ich ihn unserer
LEHRER-PILOT-GRUPPE geben, damit niemand ihn in der wandzeitung übersehen
kann. einverstanden? danke
:-))
vfb
Viele Grüße
Markus Brause |