Rechtschreibung 24.9.04

Sehr geehrte Frau Birkenbihl! Zuerst möchte ich mich für Ihre Hilfeleistung beim Schwimmen-Lernen* meiner kleinen Tochter (7) bedanken. Es hat noch ein Happy End gegeben, über das wir alle sehr glücklich waren.
Im Moment plage ich mich (gedanklich) schon wieder mit einem anderen Problem herum und möchte Sie wieder um Ihre Meinung bitten.
Meine Tochter geht jetzt in die zweite Klasse, in die im Rahmen eines Projektes in diesem Jahr auch Erstklässler eingeschult wurden. Das ist neu und war im vergangenen Schuljahr noch nicht so. Ich selbst besuchte auch so eine Schule, wo zwei Klassen in einem Raum unterrichtet wurden und lernte gleich in der ersten Klasse den Unterrichtsstoff der zweiten mit (großer Vorteil). Der Nachteil folgte auf dem Fuß: In der zweiten Klasse war mir langweilig und ich störte den Unterricht.
Damit die Lehrerin meiner Tochter sich weitestgehend den Erstklässlern zuwenden kann, müssen die Schüler der zweiten Klasse fast ausschließlich im Selbststudium lernen.
======= das ist das prinzip, das man sonst nur auf teuren privatschulen kennenlernt. hier lernen schüler nämlich LERNEN, nicht nur fakten. das ist eigentlich hervorragend, gell?

Dazu gibt es einen Karteikasten, wo auf jeder Karteikarte ein Arbeitsauftrag steht, den man erfüllen muß. Wenn jeder Schüler jede Karte abgearbeitet (auch durcheinander) hat, ist das Schuljahrum, so die Theorie. Für meine Tochter ist das kein großes Problem. Sie liest seit der ersten Klasse sehr flüssig, mit Betonung und schreckt auch vor richtig dicken Büchern für Erwachsene (kleine Schrift, keine Bilder) nicht zurück. Den Inhalt erfaßt sie dabei mühelos und freut sich gleich wieder auf das nächste Buch. Das ist wahrscheinlich die Ernte, die wir dank der Hinweise von Jirina Prekop und Ihnen schon im frühen Kindesalter gesät haben. Aber es entsteht trotzdem ein Problem: Meine Tochter steht mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß. Sie schreibt trotz ihrer Belesenheit viele Wörter falsch und das Schriftbild ist auch schlimm.
===== was erwarten Sie denn im zweiten schuljahr, das gerade erst begonnen hat???? lassen Sie ihr doch einige jahre zeit! sie kann doch nicht jetzt schon perfekt sein!!!!!

Sie besteht darauf, daß der Inhalt zählt und nicht die Äußerlichkeiten,
======= gottseidank, hat sie das kapiert!

aber das ist in der zweiten Klasse nicht durchsetzbar. Wenn ich auch vom Schriftbild absehen kann (die Lehrerin tut es nicht), so muß ich doch auf richtige Rechtschreibung bestehen.
====== Sie sind die mutter. sie müssen auf gar nichts "bestehen".

Ich möchte meinem Kind aber durch dauerndes Schreiben von Übungsdiktaten und Pauken von Rechtschreibregeln den Spaß an der Deutschen Sprache und Literatur nicht vermiesen.
===== doch, genau das scheinen Sie ja zu tun.

Was kann ich tun? Vielleicht ist auch in diesem Fall schonende Hilfe möglich.
======== warum können Sie einer siebenjährigen nicht etwas ZEIT LASSEN????????
vfb

Ich hoffe, Sie können wieder helfen. Seien Sie ganz herzlich gegrüßt von
Ihrer
Annett Schindler


*Der Beitrag hat die Schlagzeile: Schwimmen lernen

17.09.04
Sehr geehrte Frau Birkenbihl, noch bevor Sie Gelegenheit hatten, zu antworten,
===== habe aber inzwischen geantwortet (s. oben)

habe ich zu meiner e-mail eine Ergänzung. Gestern war Elternsprecherversammlung und ich fragte bei dieser Gelegenheit die Direktorin der Grundschule, wie sie meint, daß sich die Rechtschreibleistung der Kinder verbessern könne, weil mehrere Elternsprecher darüber klagten. Ihre Antwort hat mich nicht zufrieden gestellt. Sie sagte, es gebe nur zwei Wege: Die einen können es von Natur aus ünd müßten nie üben und den anderen fiele es eben schwer und diese müßten pauken und wieder pauken. Die orthografischen Regeln lernen sei dabei wichtig, aber auch immer wieder üben, üben...
==== über die orthograifschen REGELN lernt kein kind rechtschreiben, nur durch das schreiben von INTERESSANTEN TEXTEN, die es schreiben WILL (und das sind die wenigsten aufsatzthemen). briefwechsel mit freunden könnte hier interessanter sein. außerdem enthält das neue zwillingssprojekt TROTZDEM LERHEN und TROTZDEM LERNEN (leider imer noch nicht da) auch ein RECHTSCHREIB-DETEKTIV-SPIEL, das auch eltern mit den kindern spielen können, aber wie oben: hetzten Sie das arme kind doch nicht so!!!!

Ein Elternsprecher meinte sogar, die mangelhafte Rechtschreibkompetenz sei ein Fehler im Gehirn und nicht wirklich behebbar.
====== während hören (verstehen) und sprechen genetisch vorgegegeben sind, gehören (nach der amerik., forscherin McGuiness) lesen und schreiben zu den hohen kulturleistungen der menschheit. wir hatten jahrmillionen zeit, hören und sprechen zu entwickeln, aber die schrift begann vor 6000 jahren mit PIKTOGRAMMEN, dann entstanden IDEOGRAMME (vor ca. 500 jahren) und erst seit ca. 400 jahren gibt es KLANGSCHRIFTEN - ein völlig neues konzept. ähnlich komplex wie klavierspielen, malen, tanzen etc. McGuiness fragt zurecht: mit welchen recht kleben lehrer begriffe aus der pathologie auf die kinder und sprechen von dys-lexie und dyx-calculie, was FÄLSCHLICHERWEISE eine dys-funktion im gehirn suggeriert. dann müßten wir sagen, dein kind ist dys-musikalisch, seins ist dys-sportlich, jenes ist dys-chechanisch etc. etc.

Ich bin nun völlig platt, möchte die Hoffnung aber auf eine Gehirn- und kindgerechtere Herangehensweise nicht aufgeben und hoffe daher auf eine Antwort von Ihnen.
===== s. oben. es sind nicht nur lehrer, die kinder falsch behandeln, es können auch gut meinende eltern sein, die aufgrund von falschen vorstellungen die armen kinder zu früh überfrachten statt zu warten, bis gewisse entwicklungen sich einstellen werden. helfen Sie Ihrer tochter lieber, erst tiefer zu verankern, wie wichtig die INHALTE von texten sein können (was sie als gute leserin bereits trotz schule lernen konnte). erst später soll es AUCH um die form gehen, nicht, wie in der schule: null bis 20% inhalt, aber 100% form. das langweilt, das ödet an, das schafft keine beziehung zu lesen und schreiben als faszinierende geistestechniken, die uns vom schimpansen unterscheiden...
vfb

Ein sonniges Herbstwochenende wünscht Ihnen
Annett Schindler

WZ-Leserin-Beitrag zum Beitrag "Rechtschreibung" 5.10.04

Liebe Frau Birkenbihl, liebe Frau Schindler, neulich unterhielt ich mich mit einer Kollegin, deren Tochter in der Volkschule eine Lehrerin hatte, welche Montessori-Methoden v.a. im Deutschunterricht anwandte. D.h., sie verzichtete in den ersten Schuljahren auf Regeln der Orthographie etc. Die Kinder schrieben so, wie sie ein Wort hörten (wahrnahmen).
====== hervorragend!

Meine Kollegin konnte einige Wörter a.G. des Schriftbildes nicht entziffern. Sie musste die geschriebenen Worte aussprechen, um deren Bedeutung zu erkennen.
===== weil die kinder PHONETISCH schreiben und weil deutsch nicht halb so phonetisch ist, wie man uns früher immer weisgemacht hat. spannend!

Dieses hatte sie und viele andere Eltern auch sehr verunsichert.
===== weil auch sie glaubt, deutsch würde geschrieben wir gesprochen, was eben nicht stimmt!

Die Lehrerin erklärte den Eltern zu Beginn des Schuljahres die Methoden und Hintergründe und alle waren begeistert... Als dann jedoch die Zeit verging und die Kinder am Ende der zweiten Klasse immer noch sehr viele Fehler beim Schreiben machten, wurde die meisten Eltern unruhig. Auch der Druck von Seiten der Omas, Nachbarinnen, etc. war enorm ("was, das kind schreibt keine diktate?)...Die besagte Lehrerin hatte die verunsicherten Eltern oft aufklären müssen, dass das Gehirn in diesem jungen Alter noch nicht reif genug für Regeln sei und die Leistungen der Vergleichsklassen im Grunde nur Dressur-Arbeit waren.
======= gute lehrerin, wunderbar!!!!!

Obwohl meine Kollegin ein sehr aufgeschlossener Mensch ist, durchlebte sie eine ungewisse Zeit und war sich nie ganz sicher, ob das auch alles wahr ist, was die Lehrerin da von sich gab.
======= ich wette, alles hat sich inzwischen "aufgeklärt"???

Lange Rede, kurzer Sinn: das Mädchen ist heute 13 Jahre, beherrscht die Orthographie der deutschen Sprache hervorragend und hat immer noch Freude am Schreiben...
======== sehen Sie! danke für den beitrag, er dürfte vielen eltern mut machen, nicht nur der dame, die hier geschrieben hat. danke, sehr lieb. vielleicht melden sich noch andere mit ähnlichen erfahrungen, um verunsicherten eltern mut zu machen, insbes. da viele offizielle "berater" den eltern das gegenteil erzählen, weil sie von der arbeitsweise und den reifephasen im gehirn nichts wissen. schön, daß Sie die mutter mit aufklären. danke
:-)
vfb

Viele Grüße
Kathrin Hulak