Starker Akzent noch nach 47 Jahren 4.9.04

Sehr geehrte Frau Birkenbihl, beim Nachdenken über das Thema Sprachen lernen, Schritt 4 - sprechen lernen- fiel mir etwas ein, was mich seither beschäftigt, da ich es nicht in den Kontext Ihrer Ausführungen einzufügen vermag. Meine Mutter ist Polin und lebt seit 1957 in Deutschland. Sie sprach damals kein Deutsch und einen Deutschlehrgang hat sie nie wirklich besucht. Meine Mutter war sowohl im Beruf als auch zu Hause von deutscher Sprache umgeben, spätestens seit wir Kinder da waren (mein Vater verständigte sich zunächst auf Russisch mit ihr).Sie spricht heute vom Wortschatz her betrachtet ausgezeichnet Deutsch, ich kann mich gar nicht erinnern, wann ihr das letzte mal ein Wort unbekannt war, sie liest Bücher (Fachbücher und Belletristik) und Zeitungen auf Deutsch ohne jegliche Schwierigkeiten, sogar das für Polen nur schwer auszusprechende "ü" gelingt ihr mehr oder weniger gut. Aber ihre Grammatik ist nicht immer korrekt (inzwischen zunehmend, da sie nun im Rentenalter viel zu ihrer Schwester nach Polen reist und nun natürlich wieder verstärkt polnisch spricht) und vor allen Dingen ist ihr Akzent deutlich. Hier bin ich mir nicht sicher, ob der früher schwächer war, da ich ihn als Kind gar nicht wahrgenommen hatte, ich wußte nur von meinen Schulfreunden, dass es einen Akzent überhaupt gab.
Heute leben wir nicht mehr zusammen, so dass ich den Akzent heute wahrnehme.Ich habe schon mehrmals Polinnen kennengelernt, denen schon nach 10 Jahrenin Deutschland so gut wie kein Akzent mehr anzuhören war (den polnischen Akzent kann und konnte ich übrigens bei anderen stets sehr gut wahrnehmen und mit Sicherheit identifizieren, fällt mir gerade ein. Das ist schon merkwürdig mit der Wahrnehmung). Dies entspricht viel eher dem, was Sie zumThema akzentfreies Sprechen durch ständige gute Vorbilder darlegten.
Haben Sie eine Erklärung für dieses Phänomen? Meine Mutter behauptet hierzu gern, dass sie sprachlich schon immer unbegabt war, was bei mir regelmäßig zu Heiterkeitsausbrüchen führt, weil sie ihr Physikstudium in Moskau, alsoauf russisch, absolviert hat und wenn ich jemals eine Fremdsprache so gut beherrschen sollte wie sie Deutsch, würde ich durch keine Tür mehr passen,so stolz geschwellt wäre ich:-)
==== wenn wir geboren werden, sind wir in der lage, alle frequenzen aller sprachen zu hören (ein hirnschaden ausgenomen). mit 12 monaten werden die ersten nerven, die nicht gebraucht werden, weggeräumt ud mit 12 - 13 gibt es ein großes reinemachen, wo unbenutzte verbindungen rausfallen. nun gibt es sprachen, wie polnisch, russisch, aber auch die indischen sprachen, deren aussprache soooo fremdartig ist (im vgl. zu deutsch), daß wir das phänomen haben, wie beim japaner mit dem R und dem L. ein japaner kann diese beiden klänge ab alter ca. 4 - 6 NICHT mehr unterscheiden, weder im hören noch im sprechen, weil diese nervenbahnen dann schon weg sind, anderer sich länger halten und noch andere mit 13 weg sind. deshalb ist es ja irrwitz, daß wir die kinder viel zu spät zu sprachen bringen. wenn Sie mal KISSINGER auf english sprechen hörten, sein akzept ist DICK, er war mindestens 12 oder 13 jahre alt, als er nach usa kam, vielleicht älter. deshalb.Ihre frau mutter wird das deutsche wohl kaum AKZEPTFREI vor dem 11. lebensjahr gehört haben, aber welbst wenn, vielelicht sind einige dieser verbindungen wie im japanischen beispiel, dann wäre sie mit 4 jahren schon "zu alt" gewesen.spannend, gell?
vfb

Mit freundlichen Grüßen
Tatjana Sander.

9.9.2004
Liebe Frau Birkenbihl, die "Entwicklungs-Fenster", von denen Sie in diesem Beitrag sprechen kenne ich und sie sind auch einleuchtend. Es stellt sich mir die Frage, nachdem ich mich intensiv mit ihrer Sprachlernmethode auseinander setze, wie ist es möglich, dass ein Erwachsener Französich lernt, im Selbststudium mit ihrer Methode, und fast keinen Akzent hat? In der Wandzeitung und in den Foren gibt es davon lebende Beispiele genug.
====== einige sprachen sind sich in der aussprache wesentlich ähnlicher als andere, französisch gehört dazu, polnisch nicht. daher sprechen erwachsene, die die jeweilig andere sprache lernen müssen, mit einem so "schicken" akzent, während franzosen, die deutsch lernen, eher einen "süßen" (= dünnen) akzent haben. hilft das weiter?
vfb

Vielen Dank für Ihre Antwort
Kathrin Hulak