Kindererziehung 16.8.04
Guten Tag Frau Birkenbihl,
heute habe ich in der Sendung ALPHA einigen Ihrer Ausführungen folgen dürfen
und war zugegebenermassen sehr beeindruckt. Zu den meisten Beispielen hatte
ich unverzüglich Bilder aus meinem Alltag vor Augen und was noch schlimmer
ist, ich wusste genau, dass ich mich eben so falsch verhalte bzw. verhaltenhabe
wie Sie es beschrieben haben. Insbesondere in Punkto Kindererziehung.Und das
beinhaltet auch meine Frage:
Ich habe einen kleinen Sohn (2 1/2Jahre), der mich zeitweise zur Verzweiflung
treibt, indem er grundsätzlich alles, was verboten ist tut. Das ist zum
einen sehr nervenaufreibend, zum anderen teilweise gefährlich, da er z.B.
dazu neigt, immer wieder Dinge wie Seife, Creme o.Ä. in den Mund zu stecken
bzw. zu essen. Kürzlich erst musste er per Notarzt abtransportiert werden,
weil er eine Rheumasalbe gegessen hatte (er war 30 Sekunden unbeaufsichtigt
und hat diese Zeit sofort genutzt, es ist ihm aber zum Glück nichts schlimmeres
dabei passiert). Wir passen natürlich insbesondere seitdem ungeheuer auf
aber man kann einfach nicht immer verhindern, dass er etwas in die Finger bekommt,
zumal er auch klettert, wenn er derartiges irgendwo stehen sieht. Nun haben
wir ihm schon so oft ins Gewissen geredet und immer sagt er "Mama ich mach
das nicht mehr" und doch kommt es immer wieder zu diesen Situationen. Wir
wissen langsam nicht mehr, wie wir ihn von dieser scheinbar unwiderstehlichen
Versuchung wegbringen können. Wir sind sicher, dass er schon weiss, das
er das nicht darf aber genau das scheint sein Interresse daran zu verstärken.
Haben Sie einen Tipp für uns, wie wir dieses Problem angehen könnten??
Wie könnten wir es ihm noch erklären ohne es wie ein Verbot aussehen
zu lassen??
======= leider bin ich nicht auf kinder spezialisiert, so daß ich Ihnen
nur meine persönliche meinung anbieten kann, nicht aber einen fachlich
kompetenten rat. ich kann mir aber vorstellen, daß manche insider ideen
haben, die sie beitragen können, aus ihren (ähnlichen) erfahrungen?
das ist ja eine der funktionen der wandzeitung. hier kommt also meine ganz pers.
meinung, die Ihnen VIELLEICHT nicht viel nützen wird. sorry. aber ich versuche
es mal:
normalerweise wachsen kinder in einem umfeld auf, in dem sie umgeben sind von
einem umfeld, in dem man ihnen VORLEBT, was ok ist und was nicht. man weiß,
daß in sog. primitiven gesellschaften, keinerlei verbote bestehen, weil
kinder sehr früh durch beobachtung lernen, die große mit gefährlichen
dingen umgehen. sie sehen, welche tiere vermieden werden (z.b. giftspinnen),
wie man mit scharfen messern umgeht etc. etc. ich habe einige berichte von TROELLER
gesehen (kinder der welt) der immer wieder zeigt, wie GELASSEN kinder dort mit
dingen umgehen, die ihnen bei uns verboten werden.
im klartext: je weniger verbote, desto klarer orientiert sich das kind an dem,
was die anderen tun. es hat null veranlassung, das nicht zu tun. aber bei uns
ist die welt voll von gefährlichen dingen, von kabeln über putzflüssigkeiten,
medikamente und und und. es liegt viel zu viel zeug herum, von dem das kind
nicht per beobachtung lernen kann, was wir damit machen, weil wir ihm die chance
gar nicht geben, das ständige NEIN, laß die schublade zu. faß
das nicht an, gib das her etc. erzeugt für das kind eine welt, in der er
von gefahren umgeben zu sein scheint und damit ist normales heranwachsen sehr
schwierig geworden. ich kann Ihnen nur raten: untersuchen Sie das haus (die
wohnung) und entfernen Sie alles, was Sie persönlich für gefährlich
halten. Man muß diese dinge wegschließen. wenn die wohnung ein SICHERER
HAFEN ist, in dem das kind sich frei bewegen darf, weil es weder wertvolles
porzellan noch sonstiges gibt, das er nicht anfassen darf, dann wird das wahrscheinlich
aufhören.
vfb
Hoffentlich finden Sie die
Zeit, uns zu antworten.
Liebe Grüsse aus dem Rheinland
Michaela
17.8.04
Guten Tag und
vielen Dank für Ihre Antwort, es ist sicherlich sehr schwer bzw. fast unmöglich
eine Wohnung so zugestalten, dass keine Gefahren bestehen aber ich selbst bin
auch schon zu dem Schluss gekommen, dass wir mit weniger Verboten evtl. weiter
kommen. Weniger ist eben doch oft mehr. Leider kann man bei wenigen Dingen so
viel falsch machen wie bei der Kindererziehung. Ich danke Ihnen sehr für
Ihre Antwort...
======= gerne. es kam heute ein längerer kommentar an Sie herein, den Sie
sofort erhalten und der in die wandzeitung kommen wird, weil es viele eltern
mit Ihren sorgen gibt. Sie haben sicher vielen aus der seele gesprochen. alles
liebe und gute Ihnen und Ihrem sohn.
vfb
Alles Gute
Michaela
Kindererziehung 17.8.04
Liebe Michaela, Frau Birkenbihl
hat Ihnen den einzigen Rat gegeben, den auch ich Ihnen geben möchte. Wenn
man experimentierfreudige Kinder hat (und das sind gottseidank die meisten bis
man sie daran gewaltsam hindert) - dann hilft wirklich nur, den Wohnraum kindersicher
zu gestalten. Kinder müssen experimentieren und ausprobieren dürfen-
auf diese Weise lernen die Kinder ihre Umwelt kennen. Wenn Sie alles so belassen
wie es ist- ein Wohnumfeld für Erwachsene eben, dann werden Sie im Laufe
der Zeit noch viele Nerven lassen und Ihr Kind wird wahrscheinlich irgendwann
Schaden nehmen- so oder so. Ihr Sohn lernt schon jetzt: "Lass sie doch
reden....". Kinder, denen man immer wieder zuviel erzählt hören
schlicht nicht mehr zu - sie stellen die Ohren auf Durchzug! Und vielleicht
geben sie den Eltern dann verbal sogar Recht, nur damit der Vortrag endlich
aufhört. Das ist nicht bös gemeint, ich kenned iese Reaktion nur zu
gut, wenn meine Kinder wieder mal einen Roman vom Papa hören.;-)
Ganz ehrlich: Ihr Kind ist altersmäßig noch gar nicht so weit, dass
es aufgrund von Argumenten seine Experimentierfreude einstellen oder Verhaltensweisen
ändern würde. Sie nehmen viel Dampf aus der Situation, wenn Sie sich
das viele Redenzunächst ersparen und tatsächlich alle gefährlichen
Dinge forträumen.Tabletten, Salben, Putzmittel, Messer, Giftpflanzen (!),
Stöcke, Scheren,....Und dann: Frau Birkenbihl hat uns etwas beigebracht,
was Ihnen nochwertvolle Dienste leisten kann: Keine Verbote mit "nicht"
-Sätzen. Das heißt: Sie erwischen Ihren Sohn, wie er eine Leiter
hochklettert. Falscher Komentar: "Bitte klettere NICHT die Leiter hoch!"
oder das sofortige Herunterreißen des Kindes von der Leiter.
Richtig wäre folgende Reaktion: "Das kannst du ja schon príma.
Und wie ich sehe,kannst du dich auch schon richtig festhalten! Ich schlage vor,
bis zur dritten Stufe kannst du schon alleine hochsteigen, wenn ein Erwachsener
dabei ist! Und jetzt üben wir mal, wie du wieder herunterkommst. "Was
lernt das Kind dadurch? Mama hat Vertauen in meine Fähigkeiten, also kann
ich es auch haben! Und: es weiß, es darf bis zur dritten Stufe, wenn jemand
dabei ist und wird es weniger versuchen, wenn keiner guckt! Und: wenn es doch
einmal irgendwo hinaufklettert wenn du nicht dabei bist, wird es sich erinnern
dass es sich gut festhalten muss und wie es wieder herunterkommt!
Würden Sie es dagegen entsetzt von der Leiter reißen und schimpfen,
würde es das immer wieder hinter Ihrem Rücken versuchen oder aber
irgendwann von der Leiter fallen, weil sich Ihre Angst übertragen hat.
Und wenn Sie minutenlang argumentieren, dann nimmt Ihr Sohn Sie irgendwann nicht
mehr ernst, wenn er erst in das Alter kommt, in dem Argumente wichtig werden!
Darüber hinaus kam in der letzten Alphasendung zur Sprache, dass ein Kind
einerseits durch Imitation und andererseits durch Identifikation lernt- also
durch das, was Eltern sagen und das was sie vorleben. Das Imitieren überwiegt
eindeutig. Und wer nutzt all´die gefährlichen Dinge, die herumliegen?
Und wer möchte diese Erwachsenen nachahmen? Sie sehen: was Ihr Kind tut
ist in vielerlei Hinsicht ganz verständlich. Wenn Sie sich das nächste
Mal mit Rheumasalbe behandeln, dann geben Sie Ihrem Sohn eine Niveasalbe und
erklären ihm in ein, zwei Sätzen: Das ist Mamis Salbe, das ist deine.
Damit darfst du dich einreiben." Auf diese Weise darf ernachahmen, er darf
seine Experimentierfreude unter Aufsicht ausleben und ist ein glückliches
und zufriedenes Kind. Denken Sie sich auf Vorrat ein paar kindgerechte Experimente
aus, mit denen sich Ihr Kind beschäftigen kann, wenn Sie ihn mal von etwas
Gefährlichem ablenken müssen. Bremsen Sie Ihr Kind so vorsichtig wie
möglich- die Experimentierfreude ist genau das, was es zum Leben braucht:
versuchen Sie diese daher nicht zu ersticken, sondern in andere Bahnen zu lenken.
Vielleicht konnte ich Ihnen etwas helfen.
======= danke für Ihren lieben und gutgemeinten kommentar. das ist es,
was ich so an der wandzeitung liebe, daß leute sich - im besten sinne
- einmischen, weil sie sich ANGESPROCHEN wühlen. ich bin sicher, Ihre worte
können der dame mehr helfen als meine. danke
Zu meiner Kompetenz: zunächst
10 Jahre als Erzieherin gearbeitet, seit 12Jahren erziehe ich meine eigenen
zwei "Minimonster" und der weibliche Teil meiner angeheiratete Familie
besteht fast vollständig aus Erzieherinnen und anderen Pädagogen-
da bleiben Diskussionen nicht aus, die nicht immer von gleichen Ansichten geprägt
aber doch immer lehrreich sind. Ich interessiere mich nun riesig für die
Arbeit von Frau Birkenbihl und versuche vieles nicht nur für mich zu nutzen,
sondern eben auch auf Kindererziehung umzumünzen. Mein Traum ist die Gründung
einer Beratungsstelle für Eltern und Erzieher oder entsprechende Volkshochschulkurse.
======== träumen Sie und tun Sie es dann!
:-))))
Liebe Frau Birkenbihl-hoffentlich
empfinden Sie meinen Kommentar nicht als Einmischung. Doch es ist faszinierend,
wie sehr in Sachen Kindererziehung Ihre Aussagen zusätzliche Steine in
meinem Fluss werden.
;-)
========= im gegenteil. ich empfinde ihn als be-REICH-erung. danke (s. oben)
vfb
Liebe Grüße
Doris E. Reuter
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