Programmieren lernen 16.07.04

Sehr geehrte Frau Birkenbihl, als begeisterter Leser Ihrer Werke (Stroh im Kopf?, Inneres Archiv, Analograffiti, Sprachen lernen usw.) möchte ich mich an dieser Stelle zuerst dafür bedanken, dass Sie sich die Zeit nehmen und auf alle Fragen in der Wandzeitung antworten. Ich selbst konnte bereits vor ca. einem Jahr von Ihren Tipps zum Thema "Fernstudium - Wie gehe ich Lernstoff an ?" profitieren. Seitdem fertige ich zu allen Themen ABC-Listen und KAWA´s an, was mir auch schon etliche Stunden "Auswendiglernerei" erspart hat.
====== schön, bitte weitersagen!

Vielen Dank noch einmal !!! Nun wende ich mich wieder einmal an Sie, in der Hoffnung, dass Sie mir weiterhelfen können oder zumindest einen Tipp in die richtige Richtung für mich haben. Im Rahmen meines Fernstudiums muss ich mich derzeit mit Programmiersprachen (JAVA und C++) beschäftigen. Als absoluter Programmieranfänger tue ich mir damit sehr schwer. Aufgrund Ihrer empfohlenen Vorgehensweise in "Stroh im Kopf?" oder wars doch "Inneres Archiv" habe ich begonnen, zuerst mal "locker" im Buch zu blättern, einzelne Begriffe klären usw.. Definitionen und Begriffe habe ich nach einiger Zeitdank ABC-Listen dann auch einigermassen drauf, wo ich jedoch enorme Probleme habe ist die Denkweise, die fürs Programmieren notwendig ist....und insgeheim glaube ich, die jahrelange Erfahrung eines Programmierers, die kann man nicht innerhalb 3 Monaten lernen....liege ich da falsch???
===== JEIN. wenn Sie die wichtigsten prozesse des programmierens in zeitlupe durchspielen (wie ein gedankliches rollenspiel), können Sie die notwendigen nervenbahnen zwar LANGSAM aber insgesamt doch relativ "schnell" (in wochen statt jahren) anlegen. ich habe, als ich mit COMAL programierte, wo man einzelne subroutinen mit namen belegen konnte (was bei BASIC davor nicht möglich gewesen war) zeiten im stau, an der roten ampel, in warteschlangen (an kassen zb.) dazu genutzt, mir in zeitlupe solche module auszudenken, also im kopf zu programmieren. so lernete ich warteschleifen (bis der anwender ein taste drückt) u.ä. zu programieren, bis diese de facto automatisch wurden. wenn man die ersten 10 mechanismen "drauf hat", beginnt das gehirn auf der meta-ebene zu abstrahieren und eine art kunst des programierens zu entwickeln (ähnlich wie es ein sprachgefühl entwickelt, unabhängig von grammatik-regeln). so "werden" Sie "bälder" zum programmierer, als durch normales lernen...

Habe auch schon probiert, abgedruckte kleinere Programme selbst abzutippenund geringfügig abzuändern, so dass die darin verwendeten Begriffe für mich gehirn-gerecht sind... und nicht nur für den Autor des Buches....aber das hilft leider nur bei relativ einfachen Programmen, bei größeren und komplexeren Programmen fehlt mir einfach die Denkweise.
===== größere im kaffeehaus in ruhe durchdenken und in zeitlupe kapieren. mehrmals! wenn Sie das mehrmals KONSTRUIERT haben, können Sie es später RE-KONSTRUIEREN (d.h., die haben es dann kapiert und können aktiv damit umgehen, wenn Sie es benötigen).

Mit Denkweise meine ich übrigens, einen komplexen Sachverhalt relativ einfach lösen zu können. z.B. die Buchstaben eines Wortes in umgekehrter Reihenfolge ausgeben zu lassen. Ein erfahrener Programmierer löst so ein kleines Problem mit einem Ein -oder Zweizeiler, ich habe dafür bei meinem ersten Versuch mehr als 20 Zeilenbenötigt ....
====== gut so. erst "langschrift", anschließend schrittweise überlegen, welche schritte wegfallen hätten können, bis am ende ein TELEGRAMM herauskommt. dann die notizen weglegen und diesen denkweg wieder (von vorne) einschlagen. das ganze 3 - 5 mal, bis Sie es ziemlich schnell RE-KONSTRUIEREN können. nun beginnen Sie zu begreifen, ab jetzt geht es bald schneller. merke: die zeit, die Sie hier investieren, lohnt sich, denn jeder mechanismus kann, wenn Sie ihn mal kapiert haben, nie wieder un-kapiert werden (wie radfahren!). ok?

Haben Sie vielleicht einen Tipp für mich parat ?
= == s. oben. erfolgsmeldung in einigen wochen? danke
:-)
vfb

Im Voraus schonmal vielen Dank !
MfG
Toni Baldauf

P.S. Bin bereits Insider und habe die Frage im Insider-Forum auch schon gestellt, aber bisher noch keine Meldung bekommen.
====== die frage ist ja auch nicht leicht gewesen.

P.S. zum zweiten: Wann sind denn Ihre neuesten Werke "Trotzdemlehren/Trotzdem lernen" erhältlich ?
==== hoffentlich spätsommer! aber die videos (2.und 3. abend von karlsfeld 2004) sind schon da und geben gute vorschau-infos, weil ich einige der neuen techniken vorstelle. also mit gruppe und schreibblöcken bewaffnet, ca. über 4 std. spielzeit: machen Sie einen seminartag daheim daraus!

5. Januar 2005
Hallo Frau Birkenbihl, hier kommt nun meine Erfolgsmeldung. Habe letzte Woche endlich das Ergebnis meiner zweiten Programmier-Prüfung (die erste Prüfung mit 3.0 bestanden, für mich ein „sehr gut“) erhalten und habe dank Ihrer guten Tipps bestanden (zwar nur ausreichend, aber es ist schon eine Leistung bei diesen Programmier-Prüfungen überhaupt durchzukommen und dann als Anfänger gleich noch aufs erste Mal – insofern bin ich mehr als zufrieden !!!)
====== GRATULIERE. wie schön!

Genauso so wie Sie mir geraten haben, bin ich vorgegangen. Programme in kleinere Unterprogramme unterteilt und diese immer und immer wieder geübt, im Kopf programmiert usw. Übringens half mir beim Programmieren auch, dass ich sämtliche Programme zigmal auf Papier aufgeschrieben habe und nicht ausschließlich am Rechner eingetippt habe.
====== hervorragend. dabei schalten Sie zusätzlich gedächtnisteile ein (körpergedächtnis, orientierung auf dem blatt papier etc.), die am PC nur ungenügend zum tragen kommen.

In der Prüfung durfte nämlich auch kein PC verwendet werden, sondern ausschließlich Papier.
======= dann war es noch wichtiger, gleich "so" zu üben. hervorragend!

Dass Ihre Methode bestens funktioniert konnte ich insbesondere dann feststellen, als ich vier Wochen vor Prüfung 5 Tage im Krankenhaus verbringen musste und mich danach auch nicht gleich wieder voll auf den Lernstoff konzentrieren konnte (es fehlten mir ca. 2 Wochen Zeit von 4 verbleibenden Wochen).
===== merke: je gehirn-gerechter man lernt, desto weniger VERLIERT man. ich hatte bei arabisch und japanisch jeweils (aus verschiedenen gründen) 6 bzw. 7 jahre lang ausgesetzt, stellte aber bei neu-einstieg fest, daß ich nach einigen stunden wieder 90% dessen wußte, womit ich damals AUFGEHÖRT hatte. normal ist es umgekehrt, man ist froh, wenn man 10% noch weiß. das ist halt der unterschied!

Gleichzeitig hatte ich aber das Problem bzw. vielmehr die Herausforderung, mich noch auf eine zweite Prüfung (typisches Auswendiglernfach) vorbereiten zu müssen,
====== es gibt kein typisches auswendiglernfach - in zukunft. ha ha

welche ich in der gleichen Prüfungswoche abzulegen hatte. Dieses Problem löste ich dadurch, dass ich den ganzen Lernstoff auf mp3-Player aufgenommen habe und während ich programmiert habe im Hintergrund (passiv) gehört habe und dann beim Aktiv-Lernen (ABC-Listen, KaWa´s usw.) die Inhalte wesentlich schneller aufgenommen habe.
====== brav. also haben Sie es schon in der neuen vergangenheit richtig gemacht! brav :-)

In diesem Fach habe ich trotz der relativ kurzen Vorbereitungszeit mit „befriedigend“ abgeschlossen.
======= das ist es ja. mit weit weniger aufwand mittlere noten schreiben, wenn das reicht, dann ist es vollkommen ok. aber Sie quälen sich nicht und wissen hinterher weit mehr.

Vielen Dank für die Lernmethoden, die Sie, verehrte Frau Birkenbihl erfunden haben und durch Ihre Bücher an andere weitergeben !!!!!!!!!!!!!
======= naja, ich habe auch viele jahre ziemlich blind herumgetappt, wirklich spannend ist die sprachlern-methode seit 20 jahren, die anderen ansätze sind seit den vorbereitungen zur 36. auflage von stroh (ab ca. 1997) geradezu explodiert. in den letzten jahren entwickelte ich mehr als in den 30 davor. wieder ein beweis meiner hypothese, daß alle wissenskurven EXPONENTIELL sind. ich weiß inzwischen so viel ÜBER DAS LERNEN UND LEHREN, daß diese wissenskurven exponentiell geworden sind.

Bei dieser Gelegenheit hätte ich gleich noch eine kurze Frage: Wenn es um passiv hören von Lernstoff geht, würden Sie da eher den ganzen Lernstoff ausführlich aufsprechen oder nur Stichpunkte ? (z.B. Definition: Bei xy handelt es sich um einen Vorgang, welcher bewirkt, dass abc unter zu Hilfenahme von xyz zu x wird, unter der Annahme dass….. oder besser Stichpunkte: xyz wird zu abc, wegen x)
======= es kommt darauf an: erstens, wenn Sie die definition öfter in zeitlupe "durchdenken" und wenn Sie sie anhand von LÜCKENTEXTEN üben, bei denen immer andere wörter fehlen, können Sie die lückentexte auch passiv hören. am ende sollten stichworte reichen, aber erst in der letzten phase. vergleichen Sie dies mit der SPICKZETTELSCHREIB-METHODE; am anfang schreibt man 5 a-3 blätter voll, am ende hat man ein kleines ding in postkartengröße. wer systematisch von den vielen bögen herunterkürzt, in mehreren stufen, dem reichen am ende stichwörter. wer zu früh zu stichwörtern übergeht, gibt den gehirn zu wenig chancen, die nervenbahnen zu bauen.

Vielen Dank noch mal für Ihre Hilfe und ich hoffe, ich darf mich im weiteren Verlauf meines Studiums noch mit der ein oder anderen Frage an Sie wenden, wenn ich einmal lern-technisch nicht mehr weiterkomme ?
======= yes, sir. wie die klingonen so schön sagen: it's an honor to serve.weiterhin viel er-FOLG (= gute folgen Ihres tuns)
:-)
vfb

Viele Grüße
Toni Baldauf