Verlernen unsere Schüler das Lesen? 28.11.04

Sehr geehrte Frau Birkenbihl! Verlernen unsere Schüler das Lesen? Diese Schlagzeile zierte am 25.11.04 die österr. Kronenzeitung. Eine Pisa-Studie kam zum Schluß, da 14% der österreichischen Schüler bis 12 nicht sinnerfassend, sondern nur stotternd und gebrochen lesen können. Österreich fiel in der Lesekompetenz vom 10. auf den 19. Platz zurück, und da unsere Gesellschaft von Zahlen und Vergleichen lebt, ist jetzt opositionspolitisch "Feuer am Dach". Lt. Zeitungsbericht sind folgende Dinge schuld:
====== ich erlaube mir, jeweils kurz spontan zu reagieren...

1. Einsparungen (hohe Klassenzahlen)
======in der nachkriegszeit hatten wir im schnitt zw. 50 und 60 schülerInnen pro klasse, aber damals gab es weit weniger lese- und schreibprobleme als heute! Plus: wenn die schüler mit meinen methoden arbeiten dürfen (mehr ABC-listen, kurze diskussionen, WQS.e etc.) dann ist es vollkommen egal, ob parallel drei kleingruppen mehr selbständig lernen...

2. "die Eltern sind oft überfordert, die Schule muss vieler Ihrer Aufgaben übernehmen"
===== tja, die eltern wollen einerseits die erziehung vollkommen delegieren und sind andererseits so wenig interessiert, daß sie nicht einmal die kriterien für schlechtes lernen (normalfall an vielen schulen) erkennen, um dagegen anzugehen. damit werden die kinder zu opfern eines systems, in dem jene aus bildungsfernen familien oft zum scheitern verurteilt sind. PISA 2000 hat z.b. gezeigt, daß in deutschland die geringsten chancen für solche kinder bestehen, wir sind test-sieger in "sozio-ökonom. distanz" (wer arm und ungebildet reingeht kommt arm und ungebildet raus. chancengleichheit - ha ha ha!)

3. hoher Ausländeranteil ohne Begleitlehrer
====== in meinem neuesten buch ("Trotzdem LEHREN") zitiere ich r. KAHL: das beste gymnasium in schweden hat einen ausländeranteil von 80%. nur würden die schweden nicht von ausländern sprechen, sie haben nämlich keine - das sind alles NEU-SCHWEDEN. wir sagen "neue bundesländer", weil wir wissen, daß das integrierend wirkt, aber wir sprechen auch ind er 3. generation von "neu-deutschen" noch von ausländern, türken etc.4.

50% der Schüler interessieren sich nicht für Bücher
======= kein wunder, bei dem material, das man in schulen lesen MUSS! d.h. in bildungsfernen familien ist schul-lesestoff der einzige, den die kinder kennen (und hassen) lernen... bei bildungsnahen famlilien gibt es kaum leseschwache, wiewohl diese ebenfalls fernsehen und das internet nutzen.

5. "Schuld sind unter anderem Internet, Computer und Fernseher"
======= unsinn, im internet muß man sogar sehr viel lesen... s. punkt 4

6. Schulstunden streichen, ohne die Lehrer zu fragen
======= besonders schlimm sind ausfallende SPORT-stunden bzw. in denselben langes schlangestehen, bis man auch mal übers pferd hupfen darf, statt ständige BEWEGUNG im sport, wobei die schülerInnen zwischen mannschaftsspielen und joggen oder power-walking wählen sollen dürften. ohne physiologische bewegung keine geistige! ebenfalls schlimm ist das ausfallen von musik, weil diese das gehirn maßgeblich schult, so daß mathe und konzentration sich ebenfalls verbessern...

7. "Die Kinder sind nicht mehr in der Lage, sich in ein Buch so zu verbeißen wie etwa in ein Videospiel"
========= und was ist mit den KINDERN, die Harry Potter lesen (es gibt auch erwachsene, aber auch viele kinder, insbe.s solche, die vorher eigentlich nicht gerne lasen). ebenso lesen "schwache" leserInnen gerne comics - wann haben Sie das zuletzt versucht? die fehlende redundanz fordert eine weit höhere konzentration und mitdenken als die meisten erwachsenen annehmen, vor allem solche, die "so etwas" niemals lesen würden...

8. "Auch viele Lehrbücher sind unglaublich fad und klischeehaft"
======= richtig, sehr schlimm! hier kann man allerdings im elternhaus gegensteuern. 1. mit spannenderen aufgaben 2. indem die kinder parameter zur beurteilung entwickeln. später können sie sich darin üben, festzuhalten, was sie besonders öde finden - damit haben Sie das lehrgut wenigstens bewußt wahrgenommen, ohne die normale langeweile als frust zu erleben...

9. Und wieder: "Zu viel SMS und Computer"
===== sms - ja, schon. aber überlegen Sie doch einmal, wie man sich hier widerspricht: 1. die jungen leute SCHREIBEN sie gerne (weil hinterher niemand über die form meckert, was den INHALT zur hautsache macht.
außerdem fordert es eine menge kreativer phantasie, um tolle abkürzungen zu (er-)finden, also eine geistige höchstleistung. 2. lesen Sie sie gerne, (er-)raten neue abkürzungen und können sich voll auf den INHALT konzentrieren, weil die form nicht im weg steht. wer behauptet denn nun, diese jungen leute würden nicht lesen/schreiben wollen und daß SMS sie davon abhalten???? volle logik, was?? übrigens: die computer hatten wir schon bei 5, ist denen nichts mehr eingefallen oder nehmen die autoren an, die leserInnen seien ähnlich unkonzentriert wie die schülerInnen und würden es gar nicht merken?

Das waren die Kernaussagen in einem 3-Seitigen Bericht. Merken Sie, welcher Punkt fehlt. Ich habe den Bericht 4 mal gelesen, ich konnte ihn nicht finden.
====== was fehlt, sage ich ganz klar in meinem neuesten buch "trotzdem LEHREN", insbes. in dem modul "appell an alle lehrenden personen" welches auch auf meiner homepage ist (ich glaube, in der TEXT-schubade). ich fordere nämlich, daß man die schuld nicht immer im außen sucht, bei der bösen umwelt, den unfähigen eltern oder den de-motivierten oder dummen schülerInnen, sondern am system. wenn lernen in der schule nicht so eine qual wäre, hätten die jungen leute ja mehr bock. sie lernen so viel INCIDENTAL (beiläufig) den ganzen lieben tag lang, sie veranstalten LAN-parties (mit einer ungeheuren menge an fach-konpetenz), sie surfen und holen sich music und was sie wollen, ganz ohne hilfe - aber im unterricht sollen dieselben kinder plötzlich mit blödheit geschlagen sein? daß ich nicht lache!

Keine Zeile stellt das Lernsystem in Frage.
===== sag ich ja!

Auch die Mitverantwortung der Eltern wird dezent mit "Überforderung" kommentiert.
===== na ja, viele eltern sind auch dramatisch überfordert. es ist wie bei unserem steuer-system, da blickt auch niemand mehr durch. langsam frage ich mich, ob dahinter system liegt. vgl. Sie unseren text von GATTO (in der TEXT-schublade) hierzu!!

Meine Meinung: 1. Eltern haben die volle Verantwortung, den Kinder sind Spiegel der Eltern. Wenn Papa ein Medienjunkie ist, was soll dann aus den Kinde werden. Wenn keiner der Großen die Kleinen fordert, fragt, prüft ...
===== oh gott, noch mehr prüfungen? die sind doch teil des kaputten systems (s. mein modul "appell an alle lehrenden personen!!"

die Lehrer sind dann natürlich überfordert.
======== klar. wenn man NICHT GEHIRN-GERECHT vorgeht, gleicht dies einer ver-GEWALTIGUNG des hirns, was nur mit großen energie-verlusten und miesen ergebnissen geht (außer bei den bildungsehen kindern, die immer als "normgröße" im system gelten, wiewohl das seit den 1950-iger jahren zunehmend nicht mehr der fall ist. d.h. die meßlatte wird von jahrzehnt zu jahrzehnt höher gehängt während immer mehr kinder aus benachteiligten famliene ins system gesteckt werden. ergebnis: gemessen und zu leicht befunden. pech gehabt. damit können die armen lehrkräfte weiß gott auch nicht klarkommen. ich nenne sie zwar oft täter aber eigentlich sind sie ebenfalls opfer des systems.

Weiters kenne ich keine 12-Jährigen, die sich selber einen Computer oder Fernseher kaufen können.
====== nein, aber die meisten kommen damit besser klar als der EDV-lehrkraft...

Die Eltern mißbrauchen die Medien als Kinderberuhiger, als Magnet, der dem Kind die Krativität und Phantasie entzieht. Die Folgen sind vielen Eltern egal.
====== oh nein, diese eltern KAPIEREN die folgen gar nicht.

Die haben nicht einmal in Ihrem eigenen Leben die Verantwortung übernommen.
====== weil man ihnen dazu in der schule null hilfestellung gab und sie es anscheinend zuhause auch nicht gelernt hatten...

2. Lernsystem: das ist Ihr Spezialgebiet, hier konnte ich fogendes feststellen: Mein Sohn lernt jetzt gerade Lesen und ich beobachte seine Fortschritte. Ich frage Ihn immer nach dem Sinn des Gelesenen. Er schreit dann: "das muß ich nicht sagen!". Ich vermute, daß in der Schule Lesen und Sinnerfassen nicht kombiniert werden.
===== jungen haben besonders probleme dabei, die sich oft in der pubertät von alleine lösen, wenn man sie vorher nicht verrückt macht....

Er verteidigt sein lineares Buchstabenaneinandersprechen.
====== er kann derzeit nicht mehr, ich schreib gerade ein buch über die unterschiede im lernen zwischen jungen und mädchen, diese lesen nämlich weit früher, aber das hat genetische und hormonelle gründe...

Ich bin aber sicher,daß er mich bald verstehen wird, den das Lesen ist ansonsten absolut sinnlos.
===== das ist die logik einer person, die die pubertät hinter sich hat. haben Sie geduld. falls er lust auf sms etc. hätte, da würde er auf inhalt "lesen". hinzu kommt, daß mädchen auch texte lesen, die sie anöden, da sie ja leichter lesen. jungen aber haben enorme probleme mit langweiligen texten. wofür interessiert sich Ihr sohn? wie alt ist er?
vfb

Mfg Peter Heinreich