Stichwort: Inselmodell-Denkanstoß Ärgern 1.4.03

Sehr geehrte Frau Birkenbihl, wir sind INSIDER und Leser des Birkenbihl-Briefes und wenden uns mit einem"Herzdrücker" an Sie. Wir erwarten uns von Ihnen Hilfe in einer vertrakten Situation.
Unsere Tochter Jana ist seit einem halben Jahr als AuPair in den USA. Sie hat mit der amerikanischen Kultur vorher schon ausgiebigen Kontakt gehabt, als sie für ein Jahr Austauschschülerin war. Dieses Jahr ist sehr gut verlaufen und wir haben eine in ihrer Persönlichkeit sehr gewachsene Tochter wiederbekommen.
Das AuPair-Jahr begann sie mit einer Vielzahl von Ideen, Vorstellungen und Erwartungen. Sie wollte möglichst viele Kinder betreuen, wollte Trubel und Aktion und eine Familie, mit denen sie einen familiären Kontakt aufbauen kann. Nun ja, vieles davon hat sie bekommen - vier kleine Kinder, Jubel,Trubel, Heiterkeit - aber leider auch eine Gastmutter, zu der man offensichtlich schwer einen freundschaftlichen Kontakt aufbauen kann.
Die Gastmutter scheint die Rolle des AuPairs mit der eines Leibeigenen gleich zusetzen. Sie ist sehr schnell mit lautstarker Kritik und sehr sehr sparsam mit Lob und Anerkennung (geht wohl eher gegen Null) - und sie überlässt die Betreuung der Kinder mehr und mehr dem AuPair. Kurzum, die beiden Frauen schwimmen auf verschiedenen Inseln, rudern wie wild, um sich einander zu nähern und merken dabei nicht, dass sie die Ruder verkehrt herum halten.
Nun kam es vor zwei Wochen auf bitten unserer Tochter zu einer Aussprache. Ergebnis - beide Parteien wollen sich bemühen (Punkt). Allerdings ist zuerkennen das die Gastmutter nicht versteht (...und wohl auch nicht in derLage ist), was Jana bedrückt. Es ist nicht die viele Arbeit, das Geschreider Kinder usw.; es ist die Lieblosigkeit, die fehlende Anerkennung und das fehlende Vertrauen
.======= wenn ihr das eine LEKTION für den rest ihres lebens ist, wird sie sich vielleicht später leichter tun als viele menschen, die mit zuwenig lob aufwachsen mußten und als erwachsene oft "nicht daran denken" zu loben. außerdem kann sie den kindern dort viel unterstützung geben, weil sie weiß, wie sehr "sowas" fehlt, damti täte sie eine echt gute tat.

Wir haben nach langem hin- und her unserer Jana empfohlen, das noch verbleibende halbe Jahr in dieser Familie zu bleiben und damit das Leben auch einmal von der etwas unangenehmeren Seite kennen zu lernen. Einfach nach dem Motto "Alles was nicht unmittelbar zum Tode führt, macht uns stärker". Einfach so aufgeben sollte sie nicht.
===== genau. das motto: "was mich nicht umbringt, macht mich stark" könnte sie sich auf ein poster schreiben (auf deutsch, ich nehme an die gastmutter kann kein deutsch?) und als motivator benutzen... ha!

Es gibt ja auch positive Seiten. So versteht sich Jana gut mit dem Gastvater, es sind noch einige "gemeinsame" Unternehmungen geplant (Florida, Washington...) und Jana selbst kann noch zwei Wochen eigenen Urlaub geniessen.
===== sie sollte auch alle möglichkeiten nutzen, mit den kindern dinge zu unternehmen, z.b. sämtliche museen und bibliotheken der stadt zu besuchen. dabei lernen die kinder etwas über ihre stadt, was sie vielelicht noch nicht wissen und Ihre tochter nutzt vorhandene möglichkeiten optimal. ich habe viel von den kostenlosen bibliotheken in meinem leben profitiert, in deutschland vorher und in meinen 7 jahren usa dort. da gibt es nämlich auch videos, cd.s, dvd.s etc, also echt großartig. es ist gut, wenn kinder das früh kennenlernen... damit bietet sie ihnen vielelicht die art von service, den die mutter aus desinteresse nicht in gebotenem maße bietet.

Wir glauben einfach, dass alles im Leben einen und seinen Sinn hat, dass das Leben auch unangenehm sein kann und das Jana gestärkt aus dieser Situation raus geht.
====== natürlich. wer keine probleme kennenlernt, tut sich später um so schwerer, wenn sie zum erstenmal kommen. auch solcher umgang will gelernt sein, es könnte später ein ekelhafter chef sein, ein unangenehmer nachbar....

Mit dieser Meinung stehen wir aber (fast) allein da. Denn vor Ort erscheint die Situation unerträglich.
====== am besten steinchen in ein glas legen und täglich eins herausnehmen. neulich sah ich in einem bericht über die KURDEN eine kurdische politikerin, die auf parlamentarischen weg einiges bewegen wollte, dann starb der frühere türkische ober-politiker, die nachfolgerin weigerte sich, mit den kurden zusammenzuarbeiten und ließ die junge frau und zwei kollegen von ihr verhaften. nun sind sie für 15 jahre im gefängnis. und Ihre tochter hat noch wie viele WOCHEN vor sich??? ist das nicht weit besser, als unschuldig im gefängnis?

Jana`s Argumente, dass es sicherlich auch eine andere Familie geben wird, die ihre Arbeit und Leistung anerkennt und wo sie sich besser verwirklichen kann und dass es doch durchaus reichen könnte, ein halbes Jahr unter solchen Bedingungen gelebt zu haben. Sie fragt uns, ob man sich das antun muss.
===== nun, wenn Sie später nicht von beruf tochter sein will, sondern sich im arbeitsmarkt umsieht, wird man das vermerken, daß sie gleich leine zieht, wenn ihr was nicht gefällt. solche leute will man nicht. man muß auch mal für eine gewisse zeit etwas aushalten können... (zumindest sehen das potentielle arbeitgeber so!) ich habe auch schwierige zeiten durchgemacht, als ich mir mein studium dort selber verdienen mußte, einen teil nahm ich auf und zahlte bis 1985 meine schulden dort zurück. ich habe auch unangenehme jobs angenommen und dann ein semester lang durchgehalten. das gehört doch alles zum leben!

Nun sind wir gegenüber unserer Tochter in einer Pattsituation. Ratlosikeitmacht sich breit. Einerseits wir mit unserer Lebens-erfahrung und unseren Weißheiten; andererseits merken wir, dass Jana sich Unwohl fühlt, sich quält, nicht verstanden wird..
.===== wie alt ist sie denn? wenn sie alt genug ist, um als betreuerin kleine kinder betreuen zu dürfen, dann sollte sie alt genug sein, probleme wie diese durchzustehen. ich war 19, als ich mutterseelenallein nach usa ging, und ich hatte nicht mal eine au pair familie, ich begann mit nichts.

Wir würden gerne unserer Jana eine guten Empfehlung geben - aber langsammachen sich Zweifel breit
.====== ich kann nur zum durchhalten raten.

Hiermit bitten wir Sie liebe Frau Birkenbihl, wenn es Ihre Zeit erlaubt unsein Zeichen zu geben. Bis spätestens kommenden Freitag muss Jana sich entschieden haben, ob sie in der Familie bleibt oder versucht eine andere Familie zu finden.
====== habe die mail heute (sonntag nacht zum montag, 5 uhr früh) gesehen und SOFORT beantwortet.

Wir wünschen Ihnen alle Gute und verbleiben mit freundlichen Grüßen
===== Ihnen auch. und sagen Sie Ihrer tochter: wenn Sie das jetzt schafft, dann hat Sie eine große krise gemeistert und bewiesen, daß Sie auch weitermachen kann, wenn nicht alles rosig. ist. im übrigen sind viele amerikaner zu au pairs nicht sooooooo nett sondern sehen sie als "personal", so ähnlich wie wir deutsche praktikanten zu tode arbeiten, ohne geld, ein wesentlicher wirtschaftsfaktor. auch zivis leiden oft in ähnlicher weise und müssen das auch viele monate durchhalten. sie steht also nicht allein. sie soll per e-mail kontakt zu menschen halten, die sie schätzen, sich aber nicht dauernd täglich "ausweinen", weil das emotional schwächt. sie sollte täglich etwas finden, wofür sie trotz allen dankbar sein kann. denken Sie an den irak! dort sind abertausende, die hochzufrieden wären, dort zu sein! oder?übrigens, wenn die bibel behauptet, daß liebende eltern die rute benutzen, so sollten wir das metaphorisch sehen. packen Sie sie jetzt nicht in watte! damit helfen Sie ihr nicht. man kann doch mal ein halbes jahr... sie wird weder mißhandelt, noch gefoltert, noch mit dem tod bedroht... vielleicht hilft es ja, ihr das klarzumachen? im leben ist vieles relativ!
Ihre
vfb

Familie Gisela und Reinhard Schickling